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Guatemala: Ein Staatsakt und ein Hungerstreik

■ Spranger überreichte guatemaltekischem Innenminister Geschenkpaket mit 55 Mercedes–Streifenwagen, fünf Mercedes–Bussen und 60 BMW–Motorrädern

Aus Guatemala Paolo Martin

21. September: ein sonniger Samstagmorgen in der guatemaltekischen Hauptstadt. Vor dem Präsidentenpalast fahren Dutzende von Polizeifahrzeugen auf: Motoradstreifen, Funkwagen und LKWs, von deren offenen Ladeflächen behelmte Polizisten die Mündungen ihrer israelischen Schnellfeuergewehre und Maschinenpistolen auf die Menschenmenge richten, die, wie jedes Wochenende, die weitflächige Plaza Mayor füllt. Die Polizisten springen von den LKWs, bilden Ketten, drängen die Neugierigen zurück, während unmittelbar vor dem Haupteingang des Präsidentenpalastes Offiziere und Regierungsbeamte eine erregte Diskussion mit einer Gruppe von etwa 25 Arbeitern führen, die dort - umringt von Schaulustigen, Sympathisanten, Touristen und Polizisten - den dritten Tag ihres Hungerstreiks begehen, um die Wiederinbetriebnahme ihrer Fabrik durchzusetzen. Umstehende mischen sich ein, werden von Polizisten unsanft beiseite gedrängt, protestieren lautstark, aber weichen zurück vor gezückten Knüppeln und durchgeladenen Gewehren. Ein fein gekleideter Herr vom Innenministerium versucht wortreich, den Arbeitern klar zu machen, daß sie den Platz räumen müssen, denn dort werde jetzt ein wichtiger Staatsakt stattfinden und man müsse die Sicherheit der ausländischen Staatsgäste gewährleisten. Der Versuch ist erfolglos. Die Arbeiter zeigen keinerlei Verständnis. „Wir sind hier, um die Inbetriebsetzung unserer Fabrik durchzusetzen, und ohne positive Antwort der Regierung gehen wir hier nicht weg“, erklärt einer der Hungerstreikenden. Im übrigen sei der Platz ausreichend groß, um gleichzeitig mehrere Staatsakte und Hungerstreiks abzuhalten, und die auslän dischen Staatsgäste sollten ruhig sehen, wie es um die guatemaltekischen Arbeiter bestellt sei. Der Herr solle doch mal erklären, wie denn, bitteschön, eine Handvoll hungergeschwächter Arbeiter eine Bedrohung der Sicherheit darstellen könne... Die Diskussion erhitzt sich, der Herr vom Innenministerium droht Strafverfolgung an wegen Respektlosigkeit gegenüber dem Herrn Staatspräsidenten; einer der Arbeiter hatte gewagt, öffentlich zu äußern, in Guatemala habe sich nichts geändert und alle demokratischen und sozialen Versprechungen des Präsidenten Vinicio Cerezo seien pure Demagogie, wie man hier deutlich sehen könne... Bis hierher eine fast alltägliche guatemaltekische Geschichte. Die Polizei räumt den Platz, entfernt die störenden Spruchbänder, die auf die Entlassung der 528 Arbeiter der Cegusa–Fabrik hinweisen, die staubigen Wolldecken, auf denen die Hungerstreikenden lagern - Gesichter, denen man deutlich ansehen kann, daß Hunger ihnen nicht erst seit dem Hungerstreik bekannt ist. Der Platz wird säuberlich gefegt, der Staatsakt kann in Szene gesetzt werden. Und hier beginnt das Ungewöhnliche. Die Szene wird gebildet von einem langen Spalier, zu dem dutzende blankgeputzter Polizeistreifenwagen und -motorräder (alle japanischer Bauart) mit ihren in Gala–Uniform gekleideten Besatzungen aufgefahren sind. Während sich im Portal des Palastes die ausländischen Staatsgäste und die inländischen Staatsverwalter gruppieren, passieren ein Jeep mit deutschem Mercedes–Stern und ein schweres Motorrad mit bayerischem Blauweiß in majestätischem Schritttempo das respektvolle Spalier aus asiatischen Billigfahrzeugen und amerikanischen Indio–Gesichtern. Ein Lautsprecher gibt bekannt, daß in die sem Moment der „Excelentisimo“, Senor Carlos Dieter Spranger, Staatssekretär im Innenministerium der BRD, dem Herrn Innenminister Guatemalas, Juan Jose Rodil Peralta, in symbolischer Weise ein Geschenkpaket der Bundesregierung überreichen werde: 55 Streifenwagen Marke Mercedes Benz–Geländewagen, fünf Mercedes–Busse, 60 BMW– Motorräder, Funkausrüstung für alle Fahrzeuge, dazu 84 tragbare Funksprechgeräte und mehrere Videokameras, alles bestimmt für die guatemaltekische Nationalpolizei. Innenminister Rodil Peralta betont in seiner Ansprache, mit dieser Hilfe „unserer deutschen Freunde“ werde die guatemaltekische Polizei von nun an noch besser die Freiheit ihrer Bürger und ihre Menschenrechte schützen. Sein deutscher Kollege Spranger ist genau derselben Meinung. Nachdem der Vertreter des deutschen Rechtsstaates die Schlüssel übergeben und die chromglänzenden Vertreter der deutschen Exportindustrie für ihre hohen Aufgaben die Segnungen eines Priesters empfangen hatten, findet mit einem deutschen Marsch, gespielt von einer guatemaltekischen Militärkapelle, der Staatsakt seinen würdigen Abschluß. Ungestört - dank der guatemaltekischen Polizei, die rechtzeitig und energisch alle störenden Elemente vom Platz entfernt hatte. Die Arbeiter im Hungerstreik haben die Darbietung stillschweigend verfolgt, aus gebührender Entfernung und sicher hinter der Polizeiabsperrung. Ebenso stillschweigend nehmen sie, sobald die Polizei und die beiden Polizeiminister abgezogen sind, wieder ihren Platz vor dem Portal des Präsidentenpalastes ein, bauen ihre bunten Spruchbänder auf, breiten ihre Wolldecken aus und setzen ihren Hungerstreik fort.

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