„Wir können ohnehin nichts ändern“

■ Dortmunder Sozialmieter der Neuen Heimat zwischen Angst vor Mieterhöhungen und Achselzucken / Informationen nur aus der Presse / Mieterbeirat beruhigt und lobt „hervorragende Zusammenarbeit“ mit der lokalen NH–Verwaltung

Aus Dortmund Petra Bornhöft

Nicht mehr Gläubige als üblich zählte Pfarrer Heinz Listemann im Gottesdienst, nachdem im Stadtteil Scharnhorst der große Deal bekannt wurde. Bei der Kirche suchen die Mieter der Neuen Heimat in Dortmund keinen Trost. Auch öffentlich protestieren die Bewohner des mit 8.300 von 43.000 Wohnungen größten Siedlungsschwerpunkts in NRW nicht. Jeder Mittag gleicht dem anderen in tausenden dieser genormten Schachtelburgen. Tütenbepackte Frauen hetzen aus dem Einkaufszentrum am Rande der Schlafstadt mit 17OO NH–Wohnungen. Rentner liegen auf einem Kissen in der Fensterbank. Schulkinder flitzen durch die spärlichen Anlagen in ihr acht– oder viergeschossiges Zuhause - quadratisch, praktisch, langweilig. Angesprochen auf das Gewerkschaftsgeschäft mit dem Bäcker, reagieren alle hilflos und sauer zugleich. „Eine Schweinerei“, lautet der Tenor. Angst vor Mieterhöhungen äußert jeder. An den Erhalt der Sozialbindung glaubt niemand. „Wenn Schiesser Eigenleistung und Mieterhöhung verlangt, müssen wir hier raus“, fürchtet Rentner XY, der seinen Namen nicht nennen möchte. Seine Frau fühlt sich nicht besonders wohl in Scharnhorst, „aber mehr können wir uns nicht leisten“. 391 Mark kalt für 56 Quadratmeter zahlen die beiden. „Eine Mieterhöhung ist nicht drin, wir sind jetzt schon bei plus minus null“, fügt die alte Dame hinzu, die Scharnhorsts Zukunft mit dem Begriff „Geisterstadt“ gleichsetzt. Reiche Leute wohnen hier nicht, sondern Spätaussiedler, Rentner, Sozialhilfeempfänger, kinderreiche Arbeiter– und Arbeitslosenfamilien. Petra Meissner wohnt gern in dem Haus mit zwanzig Mietparteien, Baum– und Hochhausblick. „Wir sind zusammengewachsen“, erzählt die Mutter von drei Kindern. „Silvester wünschen wir uns ein gutes neues Jahr.“ Hätte, nach einer gemeinsamen Party, nicht ein nie aufgeklärter Polizeieinsatz mit anschließenden Prozessen vor Jahren die Stimmung vermiest, würden die Blocks am Baaderweg rauschende Hoffeste auf dem tristen Kinderspielplatz zwischen ihren Häusern feiern. „Jetzt haben wir es uns drinnen schön gemacht“, sagt Frau Meissner und führt mich in der 4,5–Zimmerwohnung herum - Karibik im Schlafzimmer, Schwarzwald über der Eßecke, Alpenblick gegenüber der massiven Schrankwand im Wohnzimmer. An der Wohnungsverwaltung sei nichts zu beanstanden. Widerspruch bei Nachbarin Steffens. Die geschiedene Frau „mußte kämpfen, um die Wohnung zu kriegen, weil die NH keine Sozialhilfeempfänger will“. Mit 47O Mark müssen Frau Steffens und zwei ihrer sechs Kinder leben. „Auszug? wohin denn?“ Nicht dran zu denken, trotz vergammelter Badewanne, zu kurz geratener Korridortür und Löchern in der Wand seit ihrem Einzug vor fast zwei Jahren. Über feuchte Wände, kaputte Küchenschränke und Fenster klagen mehrere Mieter. Der NH–Außenstellenleiter Peter Käfer, seit 1985 zuständig für die Betreuung der Wohnungen, läßt diese Vorwürfe nicht gelten. 4,1 Millionen Mark für Instandhaltung habe die NH in den letzten beiden Jahren investiert. „Wir können nicht alle 17OO Wohnungen gleichzeitig renovieren“, erläutert Käfer den teilweise schlechten Zustand. Der Wirtschaftsplan werde immer mit dem Mieterbeirat abgesprochen. Der Vorsitzende dieses Gremiums, Rolf Meina, bestätigt „eine hervorragende lokale Zusammenarbeit“, dank derer es gelungen sei, die Mieten auf 7 Mark herunterzusubventionieren „und 180 leerstehende Wohnungen innerhalb von zwei Jahren bis auf 21 zu vermieten“. So weiß Rolf Meina jetzt nicht, „ob wir uns in die Schar der Kritiker einreihen sollen“. Daß die Scharnhorster NH–Mieter auf Informationen der Presse angewiesen sind, findet Herr Meina in Ordnung und verweist auf Gesprächsmöglichkeiten in der NH– Außenstelle. Dort geben Herr Käfer, seine 14 Mitarbeiter und der Mieterbeirat sich alle Mühe zu beruhigen. „Es hat sich nichts geändert, außer dem Eigentümer. Unsere Arbeitsplätze hier sind unsicherer als die Sozialbindung der Mieten. Diese Wohnungen lassen sich nicht so schnell in Eigentumswohnungen umwandeln“. Ein schwacher Trost für die Mieter, die ihre Wohnungen niemals kaufen könnten. Die Mehrzahl der Scharnhorster setzt traditionell auf die SPD. Petra Meissner schwankt etwas, nachdem sie gehört hat, daß die Landesregierung zögert, Verhandlungen über den Kauf zu führen. „Das kann der Rau doch nicht machen, uns im Stich zu lassen, wofür zahlen wir denn die Parteibeiträge?“. Ihrem Bruder aus dem Nachbarblock ist „alles egal“. Er hält nichts vom Politisieren. Der Bergmann weiß nicht, auf welche Zeche er nach Schließung der Schachtanlage Minister Stein „verlegt“ wird. „Vielleicht muß ich eh umziehen. Aufregen lohnt sich nicht. Uns hat man noch nie gefragt. Wir können ohnehin nichts ändern“. Eine nicht nur in Scharnhorst weit verbreitete Meinung.