Soyinka zur Negritude

Es sollte nicht verwundern, daß die dogmatischsten Stellungnahmen zur potentiellen Vision der Negritude von europäischen Intellektuellen kamen. Solche Stellungnahmen sind ein ideologischer Nackenschlag. Es lag darin jedoch eine poetische Gerechtigkeit. Die Negritude, die ja ihre Grundpfeiler auf die europäische intellektuelle Tradition gebaut hatte, versuchte zwar tapfer, ihre Begrifflichkeit umzukehren (während sie die Lehre unangetastet ließ), tatsächlich aber blieb sie nicht mehr als ein Findling, ja ein Hätschelkind europäischer Interessen, die ihr gnädig ihre Aufmerksamkeit schenkten. aß sie ein Recht auf Eigenständigkeit haben könnte, einen Anspruch darauf, als Produkt und Zeugnis eines anderen Teils der Welt und Zivilisation akzeptiert zu werden, das kam Leuten wie Sartre nicht in den Sinn; zwar sprachen sie den Toast auf die Negritude aus, um sie dann sogleich buchstäblich unter den Tisch zu trinken. Schwer war das allerdings nicht, denn die Negritude war schon von ihren eigenen Prämissen berauscht. Selbstzerstörung der Negritude Negritude, das ist die Ebbe im dialektischen Strom. Die theoretische und praktische Behauptung der weißen Überlegenheit ist die These, die Rolle der Negritude als antithetischer Wert ist der negative Part. Aber dieser negative Part wird die Neger, die ihn spielen, nicht befriedigen, und sie wis sen das sehr genau. Sie wissen, daß sie auf eine Menschheits–Synthese oder ein Leben in rassenloser Gesellschaft zusteuern. Es ist die Bestimmung der Negritude, sich selbst zu zerstören; sie ist der Weg, aber nicht das Ziel; das Mittel, aber nicht das Ende. So stieß Fanon seinen Schmerzensschrei aus: „Nicht ich bin es, der die Bedeutung für sich selbst findet, sondern die Bedeutung steht schon bereit, lange vorher, und wartet auf mich.“ Das Fertig–Pack–System Das Prinzip von Definitionen wird im afrikanischen Weltsystem viel behutsamer gehandhabt, und man vermeidet, um des Wesens einer aktiven oder innerlich sozio–politischen Gesamtheit willen, die Substitution durch temporäre oder partielle Funktionen. Der Hauptirrtum lag im übrigen in der Vorgehensweise. Die Negritude befand sich in einer Art Fertig–Pack–System eurozentrischer intellektueller Analysen sowohl vom Menschen wie auch von der Gesellschaft. Von diesem extremen Standpunkt aus versuchte man dann eine Neu–Bestimmung des Afrikaners und seiner Gesellschaft. Am Ende konnte man dann nicht einmal mehr die aus dieser Neufindung entstandene Poesie vom Hauptstrom der französischen Poesie unterscheiden. Der Herbst der Blumen des Bösen mischte sich, durch die gemeinsame Tradition einer exzessiven Selbstbetrachtung, mit dem Frühling afrikanischer Wiedergeburt. Mono–Kultur und Mono–Merkmale Das europäische intellektuelle Temperament scheint historisch besonders förderlich für die Art der Infiltration von Mono–Merkmalen. Und es liegt in der Verantwortung der heutigen Intellektuellen in Afrika, nicht nur diese Merkmale zu hinterfragen, sondern auch die Konditionierung des eigenen sozialen Seins durch die Mono–Kriterien–Methode Europas zu beenden. Die Negritude, die der Verlockung des synthetischen europäischen Denkens so ganz und gar aufgesessen ist, akzeptierte ja die Konsequenzen, die sich aus den dialektischen Entwicklungen ergaben. Geradezu besessen versuchte man, den proteischen Universalismus Afrikas in ein entgegengesetztes monothetisches Anhängsel (Sartre nannte das natürlich Anti–These) eines vereinzelten, unbeweisbaren und sogar irrelevanten europäischen Kriteriums zu verwandeln. Descartes im Kanu Ich möchte einmal ganz einfach so antworten, wie ich mir die Antwort unseres mythischen Bruders Innozenz vorstelle, der in seinem unberührten Dörfchen, derweil er seinen unschuldigen Spielen nachgeht, von der Gestalt Descartes mit rotem Helm und in der ernsthaften Mission, sein intellektuelles Kanu durch den Dschungel der schwarzen und prälogischen Mentalität zu schleusen, überrascht wird. Wenn unser Descartessches Gespenst sich dann vorstellt und unserem schwarzen Bruder auf die - wie kann es anders sein? - tabula rasa den berühmten Satz kritzelt: „Ich denke, darum bin ich“, sollten wir ihn nicht „Ich fühle, darum bin ich“ antworten lassen, wie die Negritude es tat, denn das hieße ja nur, die arrogante, philosophische Überzogenheit zu akzeptieren, die ohne jede Grundlage und unbewiesen ist und das kosmische Sein auf einige wenige Funktionen reduziert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß unser „authentischer schwarzer Innozenz“ jemals zugelassen hätte, sich von einer falschen Position gegenüber dem schädlichen Manichäismus in eine andere, ebenso falsche manipulieren zu lassen. Eher denke ich, daß er unseren weißen Forscher in syntaktische Schranken verwiesen und geantwortet hätte: Du denkst, darum bist du ein Denker. Und–außerdem–bist–du–einer–der–denkt– daß–er–denkt–du–Weißhaut–im– Tropenhelm–im–afrikanischen– Dschungel; und schließlich noch: du–weißer–Mann–der–Probleme– mit–seinem–Glauben–in–die–eigene–Existenz–hat. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß er zu solchen Beobachtungen durch blanke Intuition kommen würde. Auszüge aus einem großen Essay von Wole Soyinka „Literatur und die afrikanische Welt - Ideologie und gesellschaftliche Vision“, veröffentlicht in „Das Afrika der Afrikaner - Gesellschaft und Kultur Afrikas“, herausgegeben von Rüdiger Jestel, Suhrkamp–Verlag, 367 Seiten, 16,– DM.