Interesse für HTR weltweit abgekühlt

■ Studie des Freiburger Ökoinstituts auf Antrag der NRW–Grünen über die Entwicklung der Hochtemperaturreaktor–Technologie und deren Durchsetzungschancen Weitere Förderung forschungspolitisch und volkswirtschaftlich nicht vertretbar / Eindeutige Forderung, das „Forschungsabenteuer abzubrechen“

Aus Bochum Petra Bornhöft

Kurz vor einer sechswöchigen Betriebspause zwecks Sicherheitsüberprüfung warben THTR–Betreiber Ende September mit einer Anzeige in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung damit, daß der „Thorium–Hochtemperaturreaktor THTR 300 in Hamm–Uentrop als erster großtechnischer Kugelhaufenreaktor der Welt seinen Vollastbetrieb aufgenommen“ habe. Sie verschwiegen, daß es gleichzeitig der letzte Reaktor dieser Art sein wird. Noch vor Abschluß der Inbetriebnahmephase im März 1987 erweist sich der THTR als forschungspolitischer Reinfall und volkswirtschaftlicher Unsinn. Nachdem die Worte der nordrheinwestfälischen Landesregierung vom THTR als „vorzugswürdiger und sicherer Reaktorlinie“ zwar nicht dementiert wur den, jedoch politisch Staub ansetzen, bleibt es der CDU überlassen, das teure Projekt als „fortschrittlichste Reaktorlinie“ zu feiern. Bei einer CDU–“Expertenanhörung“ im Düsseldorfer Landtag nannte der ehemalige Ruhrkohle– Chef Dr. Karlheinz Bund es „ein Stück aus dem Tollhaus“, wenn die Hochtemperaturreaktortechnologie abgebrochen und „sieben Mrd. DM Entwicklungskosten aus Steuermitteln abgeschrieben“ würden. Genau das empfiehlt das Freiburger Ökoinstitut in einer Studie über die technische Entwicklung dieser Reaktortechnologie und ihre Durchsetzungschancen in der Stromwirtschaft und Fernwärmeversorgung. Forschungspolitisches Desaster Weltweit gibt es zwei Prototypanlagen der HTR–Technologie, den THTR 300 in Hamm–Uentrop und den Fort St.Vrain 330 in den USA. Dieser arbeitet nach Angaben des Ökoinstitutes mit einer ständigen Betriebseinschränkung der Höchstlast auf 70 Prozent und ist seit Anfang 1985 wegen schwerer Störungen außer Betrieb. Für den störfallgesegneten THTR steht die endgültige Betriebsgenehmigung noch aus. Keine der beiden Prototypanlagen erfülle die vor 30 Jahren an die Entwicklung der HTR–Technologie geknüpften Erwartungen. So sei die Weiterentwicklung des Uran–Thorium–Brennstoffzyklus faktisch weltweit aufgegeben. In der Bundesrepublik wurde bereits 1979/80 auf Thorium für alle Nachfolgeprojekte des THTR verzichtet. Man habe den THTR schlicht zum HTR gemacht. Forschungspolitisch sei damit „eine wesentliche Daseinsberechtigung des THTR nicht mehr gegeben“, schreiben die Autoren. 1982 wurde dann eine weitere forschungspolitisch wichtige Option eingestellt: die Entwicklung von Hochtemperaturreaktoren zu Atomkraftwerken „mit integrierter Heliumturbine bei geschlossenem Gaskreislauf“ zwecks Erzielung hoher energetischer Wirkungsgrade bei der Stromerzeugung, mit günstigen Möglichkeiten zur Wärmeauskopplung. Die entscheidende, politisch von THTR–Befürwortern immer wieder ins Spiel gebrachte Hoffnung jedoch bestand in dem Erreichen von hohen Temperaturen des Kühlgases Helium. Mehr als 950 Grad Celsius sind erforderlich für die Bereitstellung von Prozeßwärme für Kohleveredelung und andere Umwandlungstechnologien. Konzeptionell erreichte keine der beiden Prototypanlagen diese Temperaturen. Darüber hinaus sei vor der Jahrhundertwende nicht mit dem Bau eines Prototyps zur Realisierung „nuklearer Prozeßwärmeauskopplung“ zu rechnen. Als Resümee formulieren die Gutachter „daß die technisch mangelhafte HTR– Entwicklung konzeptionell nicht über das Stadium eines gasgekühlten, graphitmoderierten Atomkraftwerkes moderner Bauart hinausgeht“. „Forschungsabenteuer abbrechen“ Als Nachfolgeprojekt werde gegenwärtig nur der konzeptionell vom THTR geringfügig unterschiedene HTR 500 angeboten. Weiterentwicklungen seien weder beim Wirkungsgrad noch bei der Temperatur des Kühlgases spürbar. Von den neueren, kleineren HTR–Modellen habe sich keine Variante auf dem Markt etablieren können. „Eine technologisch begründbare Marktnische ist nicht erkenn bar“, heißt es in dem 150 Seiten starken Werk. Forschungspolitisch werde weltweit nur noch an der Prozeßwärmeoption gearbeitet, „allerdings angesichts der großen Probleme ohne erkennbar verstärkte Intensität“. Deswegen fordert das Ökoinstitut, das „Forschungsabenteuer der Entwicklung der HTR–Technologie abzubrechen, um die Forschungshaushalte nicht noch weitere Jahrzehnte zu belasten“. Subventionen Neben ungelösten technischen Problemen der „deutschen Reaktortechnologie“ bestehe vor allem das Problem fehlender Märkte für diese Kraftwerke. Selbst bei Zugrundelegung optimistischer Daten von HTR–Befürwortern für die wirtschaftlichen und technischen Merkmale des Systems fanden die Freiburger Wissenschaftler „bis zum Jahr 2000 kein ökonomisch begründbares Potential“ für den Einsatz des HTR als Stromerzeuger oder Heiz– bzw. Heizkraftwerk. Nur „deutliche Subventionen oder andere staatliche Eingriffe“ könnten diese Reaktorlinie auf den Strommarkt hieven. Zum Einsatz des HTR in der Grundlast werde es nicht kommen aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen, sondern höchstens infolge politischer Entscheidungen für Atomstrom und gegen „die ökonomisch sinnvolleren Alternativen wie Stromeinsparung, Kraftwärmekopplung, Verstromung von Importkohle“ kritisiert das Ökoinstitut. Angesichts des zu erwartenden Stromverbrauchs bedeute die politische Entscheidung zugunsten einer nuklearen Erzeugeranlage vor 1995, daß entweder vorhandene Leichtwasserreaktoren (LWR) vorzeitig abgeschaltet oder Kohlekraftwerke stillgelegt werden müßten. Atom gegen Kohle Besondere Konkurrenz muß nach Meinung der Wissenschaftler indes der Steinkohlebergbau fürchten. Jeder HTR 500 erfordere einen jährlichen Verzicht auf über eine Million Tonnen Steinkohle zur Stromerzeugung. Eine Bauentscheidung für diesen AKW–Typ würde die Verlängerung des sogenannten Jahrhundertvertrages, der bis 1995 einen sicheren Kohleabsatz garantiert, „nahezu unmöglich machen“. Die in Entwicklung befindlichen kleinen HTR und HTR–Module zur Bereitstellung von Niedrigtemperaturwärme im industriellen wie kommunalen Bereich würden ebenfalls eine Verdrängung der Kohle aus einem ihrer „klassischen“ Absatzbereiche bewirken. Schlechte Marktchancen für den Aufbau neuer Fernwärmesysteme mittels HTR–Technologie - die Analyse ergibt zu hohe Investitionskosten und Akzeptanzprobleme beim Bau von Atomkraftwerken in Ballungszentren. Wirtschaftlich mindestens genauso unattraktiv wie die Stromerzeugung ist der Einsatz von HTR– Prozeßwärme und -dampf zur Herstellung industrieller Güter, heißt es in der Studie. Realisierbar erst im nächsten Jahrhundert, sei diese Technologie „auch auf längere Sicht volkswirtschaftlich für die BRD nicht sinnvoll wegen der großen wirtschaftlichen Risiken und des hohen Subventionsbedarfs“. In der negativen, ökonomischen Einschätzung von Kohleumwandlungsverfahren unter Einkoppelung des HTR stützt das Ökoinstitut sich auf Äußerungen großindustrieller HTR–Befürworter. Sie „stellen heute fest, daß sie die Risiken einer großtechnischen Einführung von Kohleumwandlung mittels HTR–Wärme nicht tragen können und wollen“. Bei der Vorstellung des im April von den NRW–Grünen in Auftrag gegebenen Gutachtens kündigte die Partei am letzten Freitag an, die Studie weiterzuleiten an die Landesregierung, die THTR–Betreiber sowie die IG Bergbau und Energie. Auf deren Stellungnahme darf man gespannt sein.