I N T E R V I E W „Heute wird kein DGB gegründet“

■ Gespräch mit Jacques Pommatau, Generalsekretär der „Federation de leducation nationale“ (FEN), der stärksten französischen Gewerkschaft auf dem Erziehungssektor

taz: Nach der Spaltung der französischen Gewerkschaftsbewegung 1946 hat sich die FEN von der Arbeiterbewegung getrennt und als Lehrerorganisation verselbständigt. Heute aber ist es ausgerechnet die FEN, die die Arbeiterorganisation nach langen Jahren wieder zu einer gemeinsamen Aktion bewegen will. Was haben Sie vor? Jacques Pommatau: Trotz der Trennung nach dem Weltkrieg war die FEN immer ein Partner der Gewerkschaften. Sie ist die größte Organisation im öffentlichen Dienst. So ist es selbstverständlich, daß wenn der öffentliche Dienst von einer Regierungspolitik in Frage gestellt wird, die FEN die Initiative ergreift. Im Kontext der französischen Gewerkschaftsbewegung, in der die Spaltungen und Polemiken stark sind, ist das eine etwas riskante Angelegenheit. Aber wir haben gewonnen. Heute werden alle zusammen streiken. Deshalb soll man noch nicht träumen. Wir werden heute keinen DGB in Frankreich gründen. Morgen werden die Teilungen fortbestehen. Streiks sind in Frankreich heute unpopulär. Selbst innerhalb der Gewerkschaften wird bezweifelt, ob der Streik die zeitgemäße Aktionsform ist. Der Streik ist die traditionelle Aktionsform, gut, aber man darf nicht unwillig die Aktionseinheit der Arbeiter denunzieren. Es gibt Momente, wo es keine anderen Mittel gibt. Warum gerade Streik im öffentlichen Dienst, wo die Arbeitsplätze im Vergleich sicher sind? Sicherlich ist die Arbeitslosigkeit die erste Sorge der Franzosen. Die FEN wird immer bereit sein, sich hierzu an Aktionen zu beteiligen. Aber sehen Sie was passiert! Ich glaube nicht, daß die Auffassungen der französischen Gewerkschaften zur Beschäftigungsproblematik heute zu einer gemeinsamen Aktion führen können. Aber um solchen Aktionen näher zu kommen, um eine gewerkschaftliche Dynamik zu entwickeln, bedarf es Bereiche des Einverständnisses. Der öffentliche Dienst ist ein solcher Bereich. Und doch bliebe der heutige Tag ohne eine rechte Regierung undenkbar? Nein, ohne die rechte Politik. Im Augenblick laufen alle Regierungsäußerungen auf die Idee hinaus, daß der öffentliche Dienst überhöht, teuer, unrentabel, nicht anpassungsfähig etc. ist, man also privatisieren muß. Das lassen wir uns nicht bieten, und das betrifft alle Bürger. Jeder hat das Recht, die Dienstleistungen, die der Staat dem Bürger gewährt, zu fordern. Das Gespräch führte Georg Blume