K O M M E N T A R Keine Freiheit für Heß

■ Zum Anschlag auf das Kriegsverbrechergefängnis in Berlin

Der Bundeskanzler Kohl und ein Häuflein Neo–Nazis verwenden sich, wenn auch auf drastisch unterschiedliche Weise, für die gleiche Sache: Freiheit für Rudolf Hess. Gerade aber das macht die Begnadigung von Hitlers Stellvertreter unmöglich. Es zeigt, daß Heß eben nicht nur ein alter leidender Mann in Einzelhaft ist. Er ist doppelte Symbolfigur. Für den auf fruchtbarem Boden heroischer Landsergeschichten gewachsenen faschistischen Nachwuchs. Und für das „jetzt muß aber endlich Schluß sein“ derjenigen, die sich innerlich von Anfang an geweigert hatten, ihr zum Mitläufertum verklärtes nationalsozialistisches Engagement zu bereuen und die jetzt nur noch über die Leiden der Vertriebenen reden wollen. Und für das „Schwamm drüber“, mit dem die „Begnadeten der späten Geburt“ dieses Lehrstück aus der Geschichte endlich von der Tafel wischen wollen. Gerade weil Hitlers viele andere kleine Stellvertreter ihre Rentenmarken weiterkleben konnten darf Heß nicht - weil das ja nun sowieso egal wäre oder man nicht einen für alle bestrafen sollte - , entlassen werden. Da es im nachnationalsozialistischen Deutschland immer noch kein entnazifiziertes politisches Klima gibt, verkommt ein Gnadenakt für Hess zu einer moralischen Entlastung auch für all diejenigen, die sich bis heute auch innerlich jeder Einsicht verweigert haben. Kuno Kruse