„Libyens Haus bedarf keiner Reparaturen“

■ Ein halbes Jahr nach dem US–Angriff auf Libyen stehen die Anhänger Ghaddafis fester denn je hinter dem Revolutionsführer - Teil I

Aus Tripolis Beate Seel

„Siehtst du - Libyen hat sich seit deinem letzten Besuch nicht verändert - außer, daß wir noch revolutionärer geworden sind“, meint ein Mitglied des Libyschen Revolutionskomitees auf der Fahrt vom Flughafen nach Tripolis. Damit antwortet er zugleich auf die Frage, die mich veranlaßt hat, nach einem Aufenthalt im März jetzt, ein halbes Jahr nach dem US–Angriff, erneut eine Einladung in die Jamahiriya anzunehmen. Und in der Tat - die Libysche Hauptstadt präsentiert sich in gwohntem Licht. Abgesehen von den Verkehrspolizisten sind keine bewaffneten Kräfte auf den Straßen zu sehen. Hier und dort hängen Transparente, die an den 17. Jahrestag der „Al Fatah“–Revolution am 1. September erinnern. Und - „Ghaddafi ist noch da“, wie es ein Kritiker des Regimes lakonisch formuliert. Die Präsenz des Revolutionsführers ist unübersehbar. Allabendlich flirrt sein Bild über den Fernsehschirm, Berichte über seinen jüngsten Auftritt auf der Blockfreien–Konferenz in Harare, die Besuche in Uganda, den Sudan und Äthiopien, Aufnahmen jubelnder Anhänger bei seiner Rückkehr. Die Afrika–Reise des Obersten sollte denn auch nach innen und außen demonstrieren, daß Ghaddafi fest im Sattel sitzt. Meldungen im Westen, seine Stellung sei beschnitten, Ghaddafi stärker in die Gruppe seiner fünf Mitarbeiter eingebunden worden, die von dem ursprünglichen neunköpfigen „Revolutionären Kommandorat“ aus dem Jahre des Militärputsches 1969 übriggeblieben sind, erscheinen als spekulativ. Amerika hat seine Ziele nicht genau getroffen Bei einer kurzen Begegnung mit dem 44jährigen Revolutionsführer auf dem Aziziya–Militärgelände präsentiert sich dieser in Hochform, ist aufgeräumt, lebhaft. Freilich findet das Treffen in einem anderen Gebäude statt als beim letzten Besuch. Das ehemalige Bürohaus wurde von amerikanischen Raketen getroffen, ebenso wie das Wohnhaus Ghaddafis, ganz offensichtlich ein Hauptziel des Angriffs. Die Zentrale des Revolutionskomitees, eine Art Avantgarde–Partei, die offziell die Ideen des Grünen Buchs verbreitet, in Wirklichkeit aber in Zusammenarbeit mit der Führung die Geschicke des Landes lenkt und die in einem modernen Gebäude auf dem gleichen Gelände untergebracht ist, wurde nicht beschädigt. Der offiziellen Lesart zufolge haben sich die USA mit ihrem Angriff vom 15. April eine Niederlage eingehandelt. „Amerika ist erschrocken, weil es seine Ziele nicht genau getroffen hat“, erklärte Mohammed Majdub aus der Führung des Revolzutionskomitees. Nur das Haus des Führers habe etwas abgekriegt. „Der Mensch stirbt nur einmal - stolz“, fährt Majdub fort, „der Imperialismus unterdrückt kleine Völker und versucht, ihre Kämpfe zu verhindern. Er spielt nicht nur Schach mit der ganzen Welt, sondern strickt auch die Seelen und Ideen. Die Menschen in den USA leben wie Kühe, aber wir sind keine Kühe in den Händen der Amerikaner. Wir haben ein Recht darauf, auf der Erde und unter der Sonne zu leben. Unser Kampf ist ein Kampf für Frieden und Freiheit auf der ganzen Welt.“ Von Stolz ist in Gesprächen über den US–Angriff oft die Rede. Denn hier heißt es, wenige Stunden später sei es zu einem zweiten Angriff gekommen, der zurückgeschlagen wurde. Mohammed Sharafeddin, Sekretär des Volkskomitees für Information und Kultur, insistiert darauf, daß 28 US– Flugzeuge abgeschossen worden seien, fügt jedoch hinzu: „Es geht hier nicht um Zahlen, sondern um die Tatsache, daß Flugzeuge abgeschossen wurden. Libyen ist stolz darauf, Flugzeuge getroffen zu haben, die eigentlich für die UdSSR bestimmt sind. An unseren Küsten werden täglich Maschinenteile angeschwemmt.“ Über Angaben aus Washington, die USA hätten bei dem Angriff nur ein Flugzeug verloren, können die Gesprächspartner auf dem Aziziya–Gelände nur lachen. „Wieviel Flügel hat denn ein Flugzeug?“ meint einer von ihnen. Eine kritische Stimme Doch zumindest in einem offiziellen Organ gab es auch kritische Töne. In einem Editorial der Zeitung „Al Jamahiriya“, dem Blatt der Revolutionskomitees, hieß es Ende April, Libyen habe den Punkt erreicht, an dem es sein Haus in Ordnung bringen müsse. Auch die Informationspolitk wurde aufs Korn genommen: „Wir brauchen keine Rundfunksprecher, die uns erzählen, die feindlichen Flugzeuge fielen wie Herbstblätter vom Himmel.“ Bei dem Autor des Artikels handelt es sich um Sayed Ghaddafadam, einen Verwandten Ghaddafis sowie ein Cousin und enger Mitarbeiter von Hassan Ishkal, der politischen Beobachtern zufolge im November letzten Jahres umgebracht worden sein soll. Ishkal galt als ein Befürworter einer weniger radikalen Wirtschaftspolitik und eines langsameren revolutionären Tempos. Seit seinem Verschwinden hatte man auch von Sayed Ghaddafadam nichts mehr gehört, der zuvor häufig Artikel geschrieben hatte. Auf das Editorial angesprochen, entschuldigt sich der Informationsminister für die „Oberflächlichkeit“ des Autors, der nur seine persönliche Meinung „in dieser psychologischen Phase“ Ausdruck verliehen und im übrigen wahrscheinlich längst eingesehen habe, daß seine Position falsch war. „Libyens Haus ist sehr stark und bedarf keiner Reparaturen“, beteuert Sharafeddin. Das Haus sei stark und die Bewohner fest entschlossen, heißt es, so fest entschlossen, daß es einer Intervention Ghaddafis bedurft habe, um das wütende Volk nach dem US–Angriff zur Zurückhaltung zu bewegen. „Sonst hätte ein großer Krieg in Europa gedroht“, erläutert einer der Revolutionäre. „Der Oberst hat erklärt, die Mittelmeerstaaten und die anderen Völker hätten ihn gebeten, keinen Krieg zu führen. Alle hier wollten kämpfen, Piloten sind für Selbstmordkommandos ausgebildet worden, selbst von den Gesichtern der Kinder konnte man die Bereitschaft zum Kampf ablesen.“ Bei solchen Worten wundert es nicht, daß der US–Angriff mittlerweile auch besungen wird. „Sie haben dein Haus zerstört, aber alle Häuser gehören dir, Bu Miniar (einer der Namen Ghaddafis) / bleib standhaft, Bu Miniar, bleib standhaft / du bist die Stimme der Armen und Unterdrückten“ heißt es in ei nem Lied, und in einem anderen, für unsere Ohren befremdlich: „Ghaddafi, unser Liebling / hab keine Angst, wir trinken Blut / Wir werden Reagan Gift geben / Gib uns Waffen, damit wir die Grenzen zerstören / Dein Haus wird von Engeln geschützt.“ Ein libyscher Revolutionär Angesichts solcher - nicht nur verkündeter - Liebe zum Führer fragt es sich, ob der US–Angriff auf das Haus Ghaddafis seine Anhänger nicht schockiert, Unsicherheit ausgelöst hat. Der 28 jährige Omar, Mitarbeiter in der Zentrale auf dem Aziziya–Gelände, der wie viele seiner Mitstreiter den Putsch als Schüler erlebte, sich den Revolutionskomitees anschloß und später die Militärakademie besuchte, schildert, wie er den Angriff erlebt hat. „Wir haben Waffen verteilt, jeder mußte eine bestimmte Position einnehmen. Wir waren bereit, zu sterben und riefen Parolen wie Gott ist groß, größer als die Amerikaner. Anfangs waren wir nervös, weil wir nicht wußten, ob dem Führer etwas geschehen ist. Wir liefen zu seinem Haus - da trat er auch schon vor die Tür.“ Omars Gesicht, zuvor ernst, leuchtet in der Erinnerung auf, er macht nach, wie Ghaddafi die Faust schwenkte. „Der Führer rief ebenfalls Parolen, und danach waren wir noch entschlossener zum Kampf. Beim zweiten US–Angriff wurden dann auch l5 (!) Flugzeuge abgeschossen.“ Omnipräsenz per Bildschirm Omar hängt wie gebannt am Bildschirm, wenn Ghaddafi im Fernsehn zu sehen ist - und das ist er allabendlich mehrmals. Langweilt es ihn nicht, immer wieder die gleichen Bilder zu sehen? Warum strahlt er jedesmal, wenn Ghaddafi auftaucht, obwohl dies für ihn doch etwas ganz Alltägliches ist? „Das ist Ausdruck meiner Liebe zu ihm“, entgegnet Omar auf meine Frage. Eine solch fanatische Hinwendung zum Führer mag ihre Wurzeln auch in einer Gesellschaft haben, die traditionell auf dem Konsens der Mitglieder hinter einem (gottgesandten) Führer an der Spitze beruht. Derartige Anspielungen finden sich in Libyen durchaus. Doch in Gesprächen mit jungen Revolutionären kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Haltung auch auf einem Fehlen differenzierter Kenntnisse in Geschichte und Politik basiert. Das revolutionäre Wissen scheint sich häufig auf drei Punkte zu beschränken: 1. Ghaddafi ist unser Führer, 2. die Macht liegt in den Händen des Volkes, 3. Kampf gegen Imperialismus und Zionismus. Die Sprache, in der im Fernsehen über politische Ereignisse berichtet wird, fördert ein solches Weltbild. Seit Reagan Ghaddafi einen „tollwütigen Hund“ genannt hat, werden israelische Politiker in der Regel „zionistische Hunde“ und der amerikanische Außenminister als „der Jude Schultz“ bezeichnet. Wer die Lage in der Welt trotz allem noch nicht begriffen hat, braucht zur politischen Nachhilfestunde nur einen Blick auf die libysche Wetterkarte zu werfen. Die arabische Welt (einschließlich Israel) erscheint in grün, die anderen Staaten in rosa, nur Ägypten und die USA stechen schwarz hervor. Omar stammt aus der Region Tarhuna, die sich mit ihren 130.000 Einwohnern südöstlich von Tripolis erstreckt. Er ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, sein Vater war Imam und bestellte ein kleines Stück Land. Ghaddafi hat auch außerhalb der Hauptstadt Rückhalt Bei einer Fahrt in seine Heimat verweist er voller Stolz auf das Straßennetz, das seit der Revolution gebaut wurde und zum ersten Mal die libyschen Städte miteinander verband, auf seither errichtete Krankenhäuser und Schulen. Er erinnert daran, daß er als Junge morgens um sechs aufstehen mußte und einen Fußweg von acht Kilometern in die nächste Schule vor sich hatte. Tarhuna, die Ortschaft gleichen Namens, eingebettet in Olivenhaine, die sich auf den Hügeln ringsum bis zum Horizont erstrecken, war ebenfalls Ziel des amerikanischen Luftangriffs. Das Militärlager in der Stadt erscheint beim Vorbeifahren völlig unbeschädigt. Die Raketen seien in den Bergen niedergegangen, erzählt Omar, die Bewohner hätten sie wie eine Zigarette an einer Seite angezündet und zurückgeworfen. Solche Geschichten über die Einwohner von Tarhuna, die man überall hören kann, ähneln unseren Ostfriesenwitzen. In westlichen Diplomatenkreisen waren nach dem US–Angriff Meldungen über eine Militärrebellion in Tarhuna zirkuliert. Darüber kann Omar nur lachen. Tarhuna sei der allerletzte Ort, an dem es zu einer Erhebung gegen Ghaddafi kommen könne. Die Stadt verfüge über eine Tradition des Widerstandes und habe 21 Tage lang der Belagerung durch die italienischen Kolonialtruppen standgehalten. Im Büro des Revolutionärs auf dem Aziziya–Gelände in Tripolis hängt eine Grußadresse des Volkskongresses von Tarhuna an Ghaddafi, im Bilderrahmen und mit einem grünen Tuch verziert. (Teil II der Serie folgt in der morgigen Ausgabe)