Pornographie: Freiheit, die sie meinen

■ Das Verbot der Pornographie war das zentrale Thema des Kongresses „Gegen Gewalt gegen Frauen“

Es war in doppelter Hinsicht ein historisches Ereignis, das Symposium „Gegen Gewalt gegen Frauen“, das am vergangenen Wochenende in Berlin stattfand. Anläßlich des zehnjährigen Bestehens des 1. Berliner Frauenhauses waren mehr als 1.000 Frauen aus der ganzen Republik angereist. Unter dem Motto „Frauen wollen keine Opfer mehr sein“ reflektierten sie auf Einladung der Berliner Frauenprojekte den nunmehr zehnjährigen feministischen Kampf gegen die alltägliche und gesellschaftliche Gewalt gegen Fraue. Zentrales Thema war dabei „die Rolle der Pornographie bei der Gewaltverherrlichung und -praxis gegen Frauen?!?!“ Erstmals, wenn auch längst überfällig, standen für diesen Kongreß den Frauen - durch grün– alternative Unterstützung - die Räume des alten Reichstags offen und zur Verfügung.

In den 70er Jahren hatte die Frauenbewegung unmißverständlich und eindeutig durch militante Aktionen gegen Sex–Shops und andere Teile der Sex–Industrie ihre Haltung zu Pornographie klargemacht. Auf diesem Kongreß zeigte sich, daß die Debatte der Frauenbewegung der 80er Jahre über die Pornographie erst am Anfang und ihre Haltung keineswegs so eindeutig wie damals ist. Sind die Frauen liberaler und toleranter geworden gegenüber dem Geschäft mit dem Sex und den Frauenkörpern. Oder ist ihre gegenwärtige Haltung eher Ausdruck der Defensive, in der sie sich angesichts der vielzitierten Wende und des gesamtgesellschaftlichen Rollbacks befinden? Diese Fragen, wenngleich im Raum stehend, wurden während der Tagung eher ausgespart und allein Alice Schwarzer hatte darauf bei der Podiumsdiskussion am Abend eine eindeutige Antwort (s. nebenstehender Artikel). Mit historischem Blick und dreitausend Jahre zurückschauend näherte sich die „Leibphilosophin“ und Mitarbeiterin des Feministischen Frauen–Bildungszentrums FFBIZ, Annegret Stopczyk, der Pornographie mit dem Resultat, daß Pornographie nicht abgeschafft, sondern verändert nach archaischem Vorbild werden sollte. Tatsächlich aber hatte ihre Vorstellung von Pornographie mit dem Bestehenden nichts als den Namen und die Abbildung weiblicher Geschlechtlichkeit gemeinsam. Denn in vorpatriarchaler Zeit, so ihre Ausführungen, bedeutete Pornographie die Ver herrlichung der weiblichen Geschlechtsorgane und hatte mit der von Halina Bendkowski so genannten „geschwänzten Pornographie“ heutiger Zeit, in der das männliche Genital dominiert, nichts zu tun. Die Abbildung der Vulva, so Stopczyk, war Erinnerung: „Du bist von einem Frauenleib und nicht aus dem Nichts geboren“ oder - im Widerspruch zur späteren „Geistphilosophie“ der Männer: „Am Anfang war die Vulva und nicht das Wort.“ Entlastend für viele Frauen, die bei der Betrachtung von Pornographie Momente der Erregung kennen und Schuldgefühle entwickeln, versuchte Stopczyk diese Reaktion als Rest von Ursprünglichkeit zu erklären, quasi „natürlich“ ausgelöst beim Anblick der lebensspendenden weiblichen Genitalien. Offenkundiger Mangel ihrer aus vorpatriarchaler Zeit abgeleiteten Forderung nach offensiver weiblicher Genitalität heute: damaligen Frauen, insbesonders den als Huren bezeichneten Prosterinnen wurde besonders Ehrfurcht entgegengebracht und sie besaßen besondere Macht, die ihnen heute längst genommen ist. Was möglicherweise auf uns noch zukommt, wurde durch den Bericht der US– amerikanerin Pamela Selwyn über die Pornographie–Debatte der Feministinnen in den USA deutlich. Dort haben sich die Frauen inzwischen an der Frage des Verbots in zwei Lager gespalten, die sich erbittert bekämpfen. Konkretes Ergebnis der Auseinandersetzungen sind Gesetzesentwürfe, unter der Federführung von Feministinnen, in denen der Schutz der Porno–Darstellerinnen im Mittelpunkt steht und die sich allein gegen die Hersteller, Verkäufer und Händler bestimmter Pornographie wenden. Insbesondere der, in der Frauen als entmenschlichte sexuelle Objekte dargestellt werden, die Schmerz und Erniedrigung genießen oder in denen Frauen als minderwertig und verachtenswert dargestellt werden. Pornographie in Gerichtsakten und Prozessen wies Hannelore May durch die Analyse einzelner Anklageschriften und Urteile, in denen es um das Delikt der Vergewaltigung ging. Zum Beispiel wird der Tathergang detailliert aus der Täterperspektive beschrieben, etwa wie „dann leckte er ihr die Scheide“, „dann steckte er ihr den Finger in die Scheide“ als spielten solche Details bei der Beurteilung eines derartigen Gewaltverbrechens tatsächlich eine Rolle. Entlarvend auch die Sprache der Richter oder Staatsanwälte, die einem angeklagten Vergewaltiger z.B. durch Alkohol einen „Ausnahmezustand“ zubilligen der zur Strafminderung führt. Ausnahmezustand aber, so die Definition des Brockhaus, bedeutet Belagerungs– und Kriegszustand, in dem Grundrechte suspendiert werden, um Gefahr vom Staat abzuwenden. Nicht nur hier ist der Schluß offenkundig, daß Männer sich gegenüber Frauen wie der Staat zum Volk verhalten und artikulieren. Gitti Hentschel