Tunesien: Wahlen für Bourguiba

■ Die wichtigsten Oppositionsgruppen boykottieren die Parlamentswahlen / Aus Tunis Thomas Hartmann

Am Sonntag sollen rund 3,5 Millionen Tunesier ein neues Parlament wählen. Der Ausgang ist klar: ein erdrückender Sieg für die Regierungspartei, eine Verneigung vor dem greisen Bourguiba. Es gibt überhaupt nur in 2 von 23 Wahlkreisen Gegenlisten. Während Bourguiba das demokratische Bewußtsein preist, beklagen alle Oppositionskreise die zunehmende Repression und Ausgrenzung durch die Regierungspartei.

Dienstagabend in einem einfachen Restaurant in Tunis. Im Fernseher läuft „RAI uno“, das 1. Programm des italienischen TV, das meistgesehene in Tunis. Es ist kurz vor 20 Uhr. In der Fernseh– Werbung hüpft eine junge Frau vor und auf teuren Autos rum, der Rock fliegt hoch. Es geht um Unterwäsche. Die Gäste, fast nur Männer, vergessen zu essen. Bevor der nächste Spot kommt, schaltet der Patron um. Gerade noch rechtzeitig, um Bourguiba zu sehen. Jeden Abend, seit das tunesisches Fernsehen besteht, gibt es um 5 vor 8 die „Richtlinien des Präsidenten“ frei Haus. Auch wenn er mal krank ist. Es sind eh meist Ausschnitte aus alten Reden, von vor 5, 10 oder auch 20 Jahren, dieses Jahr oft von vor 30 Jahren, als Tunesien unabhängig wurde.Habib Bourguiba ist nicht einfach Präsident, auf Lebenszeit sowieso. Der Führer der Unabhängigkeitsbewegung wird „Oberster Kämpfer“ genannt, und wenn er sich von seinem Sommerpalast in Monastir zu seinem Amtspalais in Tunis–Carthage chauffieren läßt, wird er von einer jubelnlden Menge begrüßt. Der 84jährige Bourguiba, gerade von seiner Frau Wassila und deren Clan am „Hof“ geschieden, dienstältester Staatschef von Afrika, genießt in Tunesien uneingeschränkte Autorität. Er wechselt die Minister aus oder revidiert selbstherrlich deren Entscheidungen, ernennt Stastssektretäre sowie andere Spitzenpolitiker, und das Parlament sieht seine Haupt aufgabe in der Praxis darin, zu bestätigen, was vom Palast vorgelegt wird. Was sollen da Wahlen? Nun, die Verfassung will es, schließlich gehört das zu einer demokratischen Republik. Mittwoch letzter Woche. Eine Blaskapelle marschiert die Fußgängerallee der Avenue Habib Bourguiba, der Prachtstraße von Tunis, auf und ab. Ein Fest? Eine Ehrung? Vielleicht für die Gäste des Filmsfestival „Journees Cinematographiques de Carthage“ im Interconti–Hotel? oder für die Tagung der „Arab Broadcasting“ im Mechtel–Hotel? oder für die Außenminister–Konferenz der Arabischen Liga? oder anläßlich des Beginns der Feierlichkeiten zum zweitausendachthundersten Geburtstag von Carthago (nicht bloß lächerliche 750 Jahre) - nein, der Wahlkampf hat begonnen. Die Blaskapelle spielt in der Farbe der Regierungspartei. 10 Tage vor den Wahlen wurden die Listen genehmigt. Selbstverständlich, so eine täglich in der Presse wiederholte „Richtlinie des Präsidenten“, streng nach Gesetz. Bei den 23 Listen (für 23 Wahlkreise) der „Patriotischen Union“ aus Regierungspartei und angeschlossenen Massenorganisationen (7 Frauen unter 125 Kandidaten) gab es keine Probleme. Doch bei den linken Oppositionsgruppen: Die „Partei der Volksunion“ (PUP) und die Kommunistische Partei (PCT) im Bündnis mit dem „Zusammenschluß Progressiver Sozialisten“ (RSP) hatten ebenfalls 6 bzw. 4 Listen eingereicht. Doch die Wahlleitung beanstandete , daß einige Kandidaten sich nicht in die Wählerlisten hätten eintragen lassen. Das verlangt in Tunesien das Gesetz. Dummerweise sieht es nicht vor, was die tunesische Liga für Menschenrechte fordert: daß man die Wählerlisten zu bestimmten Zeiten, z.B. vor der Schließung der Kandidatenlisten, einsehen kann. So erfuhren eine Reihe von Kandidaten erst zu spät, daß sie nicht in den Wählerlisten stehen - obwohl sie sich dessen sicher waren. Drei Listen der Kommunisten und zwei der PUP wurden deswegen - streng nach Gesetz - nicht zugelassen. Beide Gruppierungen zogen daraufhin die restlichen Listen zurück, nicht ohne heftig gegen diese und andere „antidemokratische Praktiken“ zu protestieren. Sie beklagten, daß in den ersten Tagen des Wahlkampfs, als sich beide Gruppen noch bemühten, Kandidaten und Aktivisten verhaftet wurden. Übrig bleiben damit noch ganze zwei Listen unabhängiger Kandidaten. In 21 Wahlkreisen ist die „Wahl“ also recht einfach. Es wird wie schon bei den letzten Wahlen 1981, als die Regierungsparte um die 98% der Stimmen und alle Abgeordnete bekam. Die beiden wichtigsten Oppositionskräfte, die „Bewegung demokratischer Sozialisten“ (MDS) unter Ahmed Mestiri und die „Bewegung der islamischen Tendenz“ unter Ghannouchi haben von Anfang an auf eine Teilnahme verzichtet. So war die neue Zusammenset zung des Parlaments praktisch mit der Aufstellung der Liste der „Patriotischen Union“ entschieden. Drei Wochen lang jagte ein Treffen zwischen Regierungs– und Partei–Spitzenpolitikern das nächste, auf regionaler und zentraler Ebene. Welcher Clan dabei seine Anhänger besser plazieren konnte, bleibt selbst Beobachtern in Tunis ein Geheimnis.Das Ringen der verschiedenen Clans um die bessere Position im Falle des Todes von Bourguiba dringt nicht nach außen. Sicher ist eins: die Anhänger des Anfang September über die algerische Grenze geflohenen Ex–Premierministers Mzali und der Clan der Ex–Gattin Bourguibas, mußten Federn lassen. Nach offiziellen Angaben wurden 68 Nicht verborgen bleibt jedoch, daß seit Januar 86 bereits 6 Zeitungen ein 6monatiges Erscheinungsverbot erhielten, daß in in den letzten 2 Jahren bereits 7 Zeitungen eingestellt werden mußten - immer „kritische“ Blätter -, daß seit letzten November 25 Prozesse gegen rund 150 Gewerkschaftsführer der entmachteten UGTT stattfanden, daß im April etwa 1.500 - vor allem islamistische - Studenten an der Uni von Tunis verhaftet und teilweise sofort zum Wehrdienst in die Kasernen im Süden eingezogen wurden, daß Anfang Juli gegen Mitglieder des militanten „Dschihad Islami“ 4 Todesurteile und 21 langjährige Haftsstrafen verhängt (und vollstreckt) wurden. Seit zwei Jahren, seit den Brotunruhen vom Januar 1984, hat sich die innenpolitische Situation enorm verschärft. Die Islamisten werden wieder in den Untergrund gedrängt (und dabei enstehen radikalere Splittergruppen), die früher mächtige Gewerkschaft UGTT wurde praktisch zerschlagen (ihre Führungsposten mit regierungstreuen Funktionären neubesetzt) angesichts wachsender Wirtschaftsprobleme: Ölpreisverfall, Stagnation im Tourismus, Exportrückgänge in die EG nach dem Beitritt Portugal und Spaniens, und trotz hoher staatlicher Subventionen - Basis für die jetzt aufgedeckten Korruptionsfälle - stieg die Arbeitslosigkeit offiziell auf 16 liegt sie teilweise über 50 solange Bourguiba lebt, ist mit größeren Erschütterungen nicht zu rechnen. Und was danach kommt, wagt keiner zu prognostizieren: alles scheint möglich.