: Frankreich rüstet weiter
■ Verteidigungsminister Giraud stellte neues militärisches Rahmengesetz vor / Steigerung der Militärausgaben auf 4
Aus Paris Georg Blume
Andre Giraud ist keine Pappfigur. „Er hat Ahnung, aber er ist unerträglich“, urteilt Staatschef Mitterrand über den französischen Verteidigungsminister. „In seinen Augen verstehe ich nicht viel von Verteidigungsproblemen und Chirac weniger als gar nichts.“ Andre Giraud ist einer jener zwei Minister, über deren Ernennung Mitterrand nach dem Regierungswechsel im März mitbestimmen konnte. Giraud wurde so zur politischen Schlüsselfigur der „Cohabitation“. An diesem Mittwoch stellte der Verteidigungsminister im Ministerrat, dann im Verteidigungsausschuß der Nationalversammlung und am Abend vor der Presse das neue militärische Rahmengesetz für die Jahre 1987 bis 1991 vor. Andre Giraud hat allen Grund, stolz zu sein. 474 Milliarden Franc plus Inflationsausgleich, also über 150 Milliarden DM sind in den nächsten vier Jahren allein für die technische Ausrüstung der Streitkräfte, d.h. für konkrete Rüstungsprojekte vorgesehen. Das entspricht einer jährlichen Steigerungsrate von 7,2 Prozent. Durch Einsparungen auf anderen Gebieten wird das Gesamtvolumen des Verteidigungshaushaltes (1986: ca. 57 Milliarden DM, Vergleich BRD 1987: 60 Milliarden DM) allerdings nur geringfügig anwachsen. So sollen die französischen Verteidigungsausgaben 1991 vier Prozent des Brottsozialprodukts stellen, heute liegt dieser Wert bei 3,8 3,1 Andre Giraud bezeichnete sein Gesetz nicht etwa als ein Kompromißpapier zwischen Regierung und Präsident, beide Parteien hätten im Gegenteil einen Konsens erreicht. Dabei sah die französische Militärwelt nicht immer so heil aus. Chirac war es, der im September als erster vorpreschte und seine verteidigungspolitischen Ambitionen auf den Bau der sogenannten „zweiten Komponente“ im strategischen nuklearen Abschreckungssystem Frankreichs richtete. Er meinte die von den Sozialisten einst geplante, dann aber wieder verworfene Pershing–ähnliche Mittelstreckenrakte SX. Mitterrand konnte so ein Vorgeplapper, das die heiligste Domäne seiner Macht, die „Force de Frappe“ betraf, nicht zulassen. Bereits im August hatte Mitterrand–Intimus Charles Hernu, ehemals Verteidigungsminister der Sozialisten, nochmals vor dem Bau der SX gewarnt. Dann nämlich, so der Greenpeace–Freund, bestünde auch in Frankreich die Gefahr des Entstehens einer Friedensbewegung. Mitterrand läßt sich auf solche Argumentationen nicht ein, trat dann aber am 13. Oktober Chirac öffentlich entgegen. Als Armee– Chef und entscheidender Knöpfchendrücker erinnerte er an seine Priorität: die nuklearstrategischen französischen Unterseeboote. Der Konflikt zwischen Präsident und Regierung schien offen. Doch einer konnte helfen: Andre Giraud. Aus seiner Vergangenheit heraus mag er öffentliche Konflikte nicht. Fast zehn Jahre war er Chef des mächtigen Kommissariats für Atomenergie, und damit einer der wichtigsten Verwalter der nukleartechnologischen Entwicklung des Landes. Entscheidungen waren hier stets der Ingenieurelite und nicht so sehr den Politikern vorbehalten. Und für Giraud, der sich mit seiner Ausbildung zu den Ingenieuren zählen darf, soll sich daran nichts ändern. „Der Präsident entscheidet über den Einsatz der Nuklearwaffen. Solange er Präsident ist, kann er also entscheiden, was er will“, ließ der Verteidigungsminister verlauten. Das sollte Mitterrand beruhigen. Ihm wurde im neuen Gesetz die Priorität für die Nuklear–U–Boote zugestanden. Nur hindert dies Giraud heute nicht, alle Studien für die SX–Rakete in Auftrag zu geben. Sein Motto lautet denn wohl auch: Er kann entscheiden, was er will, ich mach, was ich will. Allerdings findet das Geschehen jetzt nicht mehr auf der politischen Bühne statt, womit Giraud durchaus der Befürchtung eines Charles Hernu nachkommt. Dort wird man in den nächsten Tagen größte Einigkeit demonstrieren, wenn es zur Verabschiedung von Gesetz und Haushaltspaket im Parlament kommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen