Ulster sagt Nein zu anglo–irischem Abkommen

■ 200.000 Protestanten demonstrierten gegen den vor einem Jahr geschlossenen Pakt / Zwei Tote und über 70 Verletzte bei Auseinandersetzungen zwischen radikalen Unionisten und der Polizei / Thatcher: Keine Änderung der britischen Nordirland–Politik

Aus Dublin Ralf Sotscheck

Am Wochenende kam es in mehreren nordirischen Städten zu gewaltsamen Protesten, die zwei Tote und 70 Verletzte forderten. Anlaß der Aktionen war der Jahrestag des anglo–irischen Abkommens, gegen das am Samstag in Belfast 200.000 Leute demonstrierten - laut Angaben der Organisatoren. Vor einem Jahr hatten der irische Premierminister FitzGerald und seine britische Kollegin Thatcher im nordirischen Schloß Hillsborough ein Abkommen über Nordirland unterzeichnet. Ein Jahr später hat sich die Lage in der „britischen Krisenprovinz“ keinesfalls beruhigt; im Gegenteil: Die Gewalt hat in diesen zwölf Monaten wieder zugenommen, die Protestanten haben ihre paramilitärischen Verbände verstärkt, und die irisch–britische Regierungskonferenz hat keinerlei Ergebnisse gebracht. Allerdings ist das Fortbestehen des Abkommens zwölf Monate nach seinem Abschluß schon für sich genommen ein Erfolg: Alle früheren Versuche, die Katholiken aus ihrer Entfremdung herauszulösen, sind aufgrund des protestantischen Widerstands nach wenigen Monaten abgebrochen worden. Auch diesmal unternahmen die nordirischen Protestanten alles, um das Abkommen zu Fall zu bringen. Schon am 15. November letzten Jahres waren sie in eisiger Kälte vor das Hillsborough– Schloß gezogen, um ihre Plakate den Fernsehkameras zu zeigen: „Ulster sagt nein.“ In den Wochen danach stellten die beiden unioni stischen Parteien ihre Mitarbeit in den politischen Gremien praktisch völlig ein. Am dritten März legten die Unionisten die Provinz mit einem Generalsstreik für einen Tag lahm. Frieden und Versöhnung Dublin und London hatten bei Abschluß des Abkommens vier Ziele verkündet: Förderung von Frieden und Stabilität, Einleitung der Versöhnung zwischen beiden Bevölkerungsgruppen, Verständigung zwischen Großbritannien und Irland und Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus in Nordirland. Diese Ziele sind so abstrakt und hohl, wie sie klingen, ist doch die britische Premierministerin hauptsächlich daran interessiert, die enorm hohen Kosten für den britischen Militär– und Sicherheitsapparat in Nordirland abzubauen oder abzuwälzen. Lediglich bei der Zusammenarbeit auf sicherheitspolitischem Gebiet können Thatcher und FitzGerald „Erfolge“ vorweisen. Die „Sicherheitskräfte“ beider Teile Irlands stehen in enger Verbindung, besonders was die Sicherung der Grenze betrifft, um der IRA das Hinterland abzuschneiden. Dublin liefert inzwischen bereitwillig jede und jeden aus, wenn die Briten einen Haftbefehl schicken. Auf die versprochene Verbesserung ihrer Rechte wartet die katholische Minderheit Nordirlands noch heute. Anfangs hatte sie das anglo–irische Abkommen durchaus wohlwollend aufgenommen, zum Teil wohl auch in der Annahme, daß ein Abkommen ein fach gut sein müsse, wenn die Protestanten dagegen Amok laufen. Weite Teile der nationalistischen Bevölkerung hatten große Hoffnungen in das Abkommen gesetzt, was zu einer kurzfristigen Stär kung der SDLP führte. Bei genauerem Hinsehen stellten sich die so lautstark angekündigten Verbesserungen als äußerst marginal heraus. So sollte zum Beispiel die irische Trikolore straffrei gehißt werden dürfen, die irische Sprache und Kultur halboffiziell anerkannt werden und der Amtsweg für Beschwerden gegen die Polizei (RUC) vertrauenswürdiger gemacht werden. So geringfügig sie auch waren, keine dieser Maßnah men wurde durchgeführt. Das loyalistische Säbelrasseln hat gewirkt. Ausbootung von IRA Das Abkommen sollte wohl in erster Linie die SDLP, den Hoffnungsträger Dublins und Londons auf eine Befriedung der „Krisenprovinz“ in ihrem Sinn, stärken und damit Sinn Fein und ihrem bewaffneten Flügel, der IRA (irisch– republikanische Armee), das Wasser abgraben. Das Abkommen zielte nie darauf, die tiefe Kluft zwischen den katholischen und protestantischen Bevölkerungsteilen zu überwinden. Beide Blöcke sollten nebeneinander weiterexistieren. In der aufgrund des Abkommens eingerichteten Konferenz sollte London die Protestanten repräsentieren und Dublin die katholische Minderheit. Die Regierungen hofften, daß sich schließlich auf beiden Seiten eine politische Führung aus der gemässigten Mittelschicht herausbilden würde, die langfristig die Funktion der anglo–irischen Konferenz übernehmen könnte. Damit wäre die vertikale Spaltung der Bevölkerung zwar nicht beseitigt worden, aber doch soweit unter Kontrolle, daß ausländische Investoren verstärkt angelockt worden wären. Außerdem würde der NATO–Beitritt der Republik Irland in greifbare Nähe rücken. In Großbritannien haben sich die Unionisten durch den irrationalen Kampf gegen das Abkommen praktisch alle Sympathien verdorben, selbst bei den alten Verbündeten in der konservativen Partei. Thatcher und FitzGerald klammern sich weiter an das Abkommen, sie müssen angesichts der bevorstehenden Wahlen daran festhalten. Dabei sind ihre inhaltlichen Interpretationen recht unterschiedlich. Nordirland–Minister King betonte, daß die irische Regierung mit Unterzeichnung des Abkommens faktisch die Teilung der Insel anerkannt hätte - eine Ansicht, die in Dublin helles Entsetzen auslöste, da die Anerkennung der Teilung verfassungswidrig wäre. FitzGerald hebt lieber sein Mitspracherecht in nordirischen Angelegenheiten hervor, das tatsächlich gar nicht existiert. Entschieden wird nach wie vor in London. Dennoch fürchten die Protestanten, daß ihre Privilegien zugunsten eines investitionsfreundlichen Klimas geopfert werden. So gegensätzlich ihre Vorstellung über die Zukunft Nordirlands ist, herrscht bei ihnen in einem Punkt Einigkeit: das verhaßte Abkommen muß weg. Auf einer Konferenz der verschiedenen protestantischen Organisationen am letzten Dienstag gelang dem rechtsradikalen Pfarrer und Vorsitzenden der Democratic Unionist Party, Ian Paisley, die Gründung einer bewaffneten Bewegung mit dem Namen „Ulster Resistance“. Gemeinsamer Nenner dieser aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten rekrutierten Bewegung ist die paramilitärische Zerschlagung des anglo–irischen Abkommens.