„Positive Gedanken“ in der Narkose

■ Praktischer Arzt soll Frauen mehrfach betäubt und sexuell mißbraucht haben / Zeuginnen können sich an frühere Vorwürfe nicht mehr erinnern / Gericht schließt häufig Öffentlichkeit aus

Von Petra Bornhöft

Reckinghausen (taz) - Ausführlich habe er jede Patientin über die geplante Therapie informiert, bevor er das Narkosemittel „Brevimytal Natrium“ injiziert und die Ultraschalluntersuchung „schmerzfrei“ vorgenommen habe, verteidigt sich Dr. Jan C. (58). In Recklinghausen muß sich der tschechische Arzt gegenwärtig vor einer Strafkammer des Bochumer Landgerichts wegen Körperverletzung und sexuellen Mißbrauchs Wehrloser verantworten. Ebenso wortreich wie widersprüchlich bestreitet der Angeklagte, 25 Frauen in mindestens 47 Fällen ohne Einwilligung und ohne Vorkehrungen für Wiederbelebung betäubt zu haben. Sechs Patientinnen sollen in diesem Zustand sexuell mißbraucht worden sein. Bei der Darstellung der Krankengeschichte des Mediziners mußten die Zuhörer erstmals den Saal verlassen. „Schutzwürdige Interessen“ seines Mandanten konnte der sonst recht wortkarge Verteidiger geltend machen. So ist nur bekannt, daß Jan C. in der CSSR eine Ausbildung erhielt, für die es keine Belege gibt. Eine eidesstattliche Versicherung über Approbation und Promotion verhalf dem Doktor zu einer Zulassung als Allgemeinmediziner durch die Ärztekammer. Nach Arbeitslosigkeit und verschiedenen Jobs eröffnete C. im Sommer 1984 eine Praxis in Oer–Erckenschwick. Bevor der Mann 1985 in U–Haft landete, laborierte er mit eigenwilligen Untersuchungs– und Behandlungsmethoden. Ausschließlich Frauen mußten sich einer als „Narko–Analyse“ bezeichneten Form von Psychotherapie unterziehen, „weil Männer weder mit Psychoneurosen noch mit kolikartigen Beschwerden“ zu Dr. C. kamen. Aus der Sicht der Patientinnen bleibt wenig von derartigen Diagnosen übrig. Verena T. (Name geändert) zum Beispiel suchte die Praxis auf, weil ihr Sohn über Husten klagte. Nach eigenen Angaben nahm der eifrige Doktor die Blässe der Mutter zum Anlaß, ein langes Gespräch über ihre Beziehung und Sexualleben zu führen. Mit einem knappen „Nein“ antwortet Dr. C. auf die Anklage, ohne Einwilligung der Patienten zweimal das Narkosemittel gespritzt und die Frau danach vergewaltigt zu haben. Nicht die geringsten Probleme hat der Mann, vor Gericht ausführlich Verena T.s „Komplexe in der Liebe“ breitzutreten. Bei einer Darstellung der vier Narkosestadien dagegen gerät der Arzt merklich ins Stottern und hat Mühe, aus einem medizinischen Wörterbuch abzulesen, was jeder Arzt „aus dem ff“ beherrschen sollte. Übereinstimmend glaubten zwei Zeuginnen, der Kittelträger spritze „eine Art Kontrastmittel, um die Organe auf dem Ultraschall–Monitor besser sehen zu können“. Während sie in Halbschlaf oder Bewußtlosigkeit sanken, „therapierte“ Dr. C. mit dem Satz: „Jetzt gehen Ihre Schmerzen weg. Sie werden in guter Laune aufwachen und Ihre Zukunft wird besser.“ Damit wollte er „positive Gedanken in diese Wesen bringen“, erläutert der Angeklagte seine überraschend schnell erfolgreiche Heilmethode. Daß Frauen mehrmals zu Dr. C. gingen, obgleich sie sich nach dem ersten Besuch sexuell mißbraucht fühlten, scheint schwer verständlich. Bei Monika B. spielte das Versprechen auf einen Arbeitsplatz als Arzthelferin eine Rolle. Verena T. dachte an eine Kontrolle der diagnostizierten Zyste am Eierstock. Und welche Frau kann schon glauben, ihr Arzt habe sie vergewaltigt - zumal, wenn er sich unüblich viel Zeit für „verständnisvolle“ Gespräche nimmt? Diese Masche des Halbgottes in Weiß funktionierte offenbar, bis eine Patientin direkt von Dr. C. zum Gynäkologen ging, der nach einer Untersuchung empfahl, die Polizei zu verständigen. Annette F. (Name geändert) erstattete Anzeige. Nachdem die Kripo die Patientenkartei beschlagnahmt hatte, wurde der Skandal aufgedeckt. Daß Zeuginnen vor Gericht sich entweder an Aussagen nicht mehr erinnern oder nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit ursprüngliche Vorwürfe wiederholen, dürfte auch an der sensationslüsternen Berichterstattung insbesondere einer Lokalzeitig liegen, die unter deutlicher Namensnennung Einzelheiten der Zeugenvernehmung widergab. Aus Angst vor Verunglimpfung wollten einige der insgesamt 35 Zeuginnen nicht mehr aussagen. Daher drohte das Gericht vor dem dritten Verhandlungstag mit wiederholtem Ausschluß der Öffentlichkeit. Heute wird der Prozeß fortgesetzt.