Wahlkampf für die Große Koalition

■ Angesichts der Annäherung zwischen Österreichs Sozialisten und Konservativen sind die Bürger der Alpenrepublik zu den morgigen Wahlen kaum zu mobilisieren / Aus Wien Antje Bauer

Langeweile, Langeweile ist die in Österreich gängigste Charakterisierung des Wahlkampfes zu den morgigen Parlamentswahlen. Nachdem die Präsidentenwahl angesichts der Vergangenheit des Kandidaten Kurt Waldheim noch weltweite Beachtung fand, gehen die jetzigen vorgezogenen Neuwahlen fast lautlos über die Bühne. Erklärte Absicht der beiden großen Parteien ist eine gemeinsame Regierung zur Sanierung der Republik. Da die Wähler von dieser Perspektive nicht zu begeistern sind, sorgt einzig der Rechtsaußen de FPÖ, Jörg Haider, für Stimmung. Seine Versammlungen sind gut besucht, sein Spott über die beiden Großen fällt auf fruchtbaren Boden. Die Grünen haben sich dagegen durch interne Auseinandersetzungen ihre Chancen auf den dritten Platz wahrscheinlich selbst verbaut.

Weißes Hemd, der Schlips weht im Wind, die Jacke ist lässig geschultert: Zwei Tage vor der Wahl ist Wien gepflastert mit Plakaten von dynamischen, wenn auch nicht immer jungen Männern, die die Österreicher davon überzeugen sollen, daß es vorwärts gehen wird mit dem Land. „Die Zeit ist reif. Jetzt ÖVP“, sagt Alois Mock, der eine der beiden dynamischen, „vor uns liegt das neue Österreich. Gehen wir den Weg gemeinsam“, fordert in gleicher Pose der amtierende Bundeskanzler Vranitzky. Und der junge, fesche Jörg Haider, der neue Vorsitzende der FPÖ, stellt sich dar als: „Ein Politiker der neuen Art“. Als ÖVP–Obmann Alois Mock am Freitag vormittag auf dem Stephansplatz im Herzen der Stadt die Wiener Bürger ein letztes Mal zur Wahl seiner Partei auffordert, wirkt er allerdings nicht ganz so dynamisch. „Ordentliche Arbeitsplätze müssen für die Jugend geschaffen werden“, fordert er. Alois Mock ohne Fortune Ein kleines Männchen bemüht sich da auf einer Holztribüne krampfhaft um Schwung, der Wind zerzaust sein schütteres Haar, das Publikum, das gerade mal den Einkauf unterbrochen hat, friert. So rechte Stimmung will nicht aufkommen unter den gesetzten Herren im Lodenmantel und den Damen mit dem Hündchen auf dem Arm, die da den Platz bevölkern. So einfallslos der Alois Mock, so weitgehend unsichtbar ist der Wahlkampf der SPÖ. „Wer Vranitzky will, muß ihn auch wählen“, kündet in bestechender Logik ein Wahlplakat von den Ängsten der Sozialisten. Mit den Sanierungsvorschlägen für die verstaatlichte Industrie macht sich eine sozialistische Partei bei den Arbeitern auch nicht gerade beliebt. Und den Unmut der Bürger über die Korruption und den Filz macht sich vor allem der Aufsteiger Jörg Haider zunutze. Das Hotel Wimberger, sonst ein Treffpunkt der Nazis, ist überfüllt, draußen im Nieselregen stehen am Mittwoch abend hundert verfrorene Wiener, junge Leute, ältere mit verarbeiteten Gesichtern. Jörg Haider im Trenchcoat hat sich vor dem Hotel auf eine kleine Holztribüne gestellt. „Alois Mock, der will in Österreich die Wende herbeiführen. Dös könnens eh vergessen“, sagt er. „Beide Parteien retten sich in die große Koalition der Pfründewirtschaft und des Parteibuchdiktats. Wenn nach dem 23. November der Mock an die Regierung kommt, wird es sicherlich nicht für eine alternative, neue Politik sein, sondern dann wird aus der Wende höchstens eine eingesprungene Sitzpirouette mit einem politischen Bauchplatscher.“ Begeistertes Klatschen bei dem Publikum. Auch im Saal, wo die geladenen Gäste gleich weiter von Haider unterhalten werden, hat er die Lacher stets auf seiner Seite. Lauter rundliche Bürger im Tweedmantel sitzen hier, auf dem Tisch liegen Werbebroschüren der FPÖ einträchtig neben grünen Filzhüten und Damenhandtaschen aus Lederimitat. Und wenn Jörg Haider vorrechnet, wie unerhört viele Vorstandsmitglieder die verstaatlichte VÖST hat, dann seufzt die ältere Dame mit den roten Bäckchen und dem Dutt auf dem Kopf herzergreifend: „Wie schrecklich!“ Viel Konkretes hat er nicht anzubieten, der Haider, und wer antisemitsiche Tiraden erwartet hatte, kam nicht auf seine Kosten. Grüne heillos zerstritten Die Wut auf die etablierten Parteien teilen auch die Grünen, die vor allem mit ökologischen Themen in den Wahlkampf gezogen sind. Aber geschadet hat ihnen eine Spaltung vor eineinhalb Monaten, weswegen sie jetzt mit zwei Listen auftreten, wovon die kleinere, die GAL, wohl wenig Chancen hat, ins Parlament einzuziehen. Wohl auch deshalb wird Jörg Haider sie möglicherweise bei den Wahlen überrunden. Denn er spricht die Sprache der kleinen Leute, die sich immer unterdrückt wissen, besser als die Grünen. „Ein fader Wahlkampf“, befinden nahezu alle politischen Beobachter. Für eine Gruppe war er allerdings nicht so fad: für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die seit dem Wahlkampf von Kurt Waldheim auch diesmal zunehmend antisemitische Äußerungen hören mußten. „Die jüdische jüngere Generation sitzt in Österreich wieder auf ihren Koffern“, sagte ein Mitglied der jüdischen Gemeinde auf einer Veranstaltung der ÖVP im jüdischen Gemeindezentrum. Dazu haben die Parteien wenig zu sagen.