„Leichen im Keller“

Frankfurt (taz) - „Eine Sache wollten die unbedingt raushalten“, verriet eine in die Kongreßvorbereitung Eingeweihte am Kaffeestand, „das war die Diskussion um die RAF.“ Wenn das wirklich die Intention war, so ist die Rechnung nicht aufgegangen. Obwohl im Programmheft nicht erwähnt, wurden die „Leichen im Keller“ der linken Protestbewegung zum Thema des SDS–Kongresses. Die Kette „Stadtguerilla, RAF, Terrorismus, Genickschuß“(Cohn–Bendit) wollten nicht alle vom gemeinsamen Aufbruch in den Spätsechzigern abkoppeln. Doch die Erklärungsversuche machten deutlich, daß die Linke von einer Aufarbeitung der „bleiernen Zeit“ immer noch weit entfernt ist. Da gab es das offene Eingeständnis der eigenen Ratlosigkeit von Oskar Negt: „Ich verstehe nicht, wie sich Ulrike Meinhof in so kurzer Zeit so verändern konnte.“ Helmut Schauer versuchte das Thema mit einem kurzen Totengedenken an die „Mitstreiter, die in illusionärer Verzweiflung zur Waffe gegriffen haben“ zu umgehen. Antje Vollmer ließ sich nicht abspeisen: „Deren Militanz hat eure Militanz zu Ende gedacht und ihr versucht euch mit eleganten Floskeln da herumzumogeln.“ Zentrale These der Alibifrau (Selbsteinschätzung) auf dem Frankfurter Podium: „Die persönliche Rigidität der einzelkämpferischen Abrechnung war angelegt in den waffenstarrenden Omnipotenzphantasien linker Machomänner im SDS.“ Das Erschrecken über die blutige Realisierung eigener geheimer Wünsche habe zur Erstarrung und Handlungsunfähigkeit geführt. Ergebnis: Nur eine Handvoll SDS–Größen besuchte die selbsternannten Befreiungskämpfer im Gefängnis. Ob das allein das Ergebnis linker Verdrängung oder auch der Selbstisolierung der RAF–Kader war, ließ die grüne Ex–Abgeordnete offen. In den Augen von Joscha Schmierer (inzwischen geläuterter Ex–KBW–Chef) hat der RAF– Terrorismus ähnliche Wurzeln wie das Sektierertum der K–Gruppen in den siebziger Jahren. Die Protestbewegung sei nicht in der Lage gewesen, das Aufbrechen der erstarrten Adenauer–Kultur, daß in der sozial–liberalen Reformphase mündete, als eigenen politischen Erfolg zu begreifen. Stattdessen habe man sich an falschen formalen Radikalitätsbegriffen orientiert und „militärische Siege“ über die Polizei als Erfolg gefeiert. Daniel Cohn–Bendit beschrieb den Irrweg der RAF als im „saloppen Umgang mit der Straßenmilitanz“ angelegt. Es habe nur noch die antiimperialistische Rhetorik dazukommen müssen. Als zweite Ursache des Terrorismus beschrieb Cohn–Bendit die „falschen Faschismus–Projektionen“ der linken Protestbewegung: „Der Fehler lag in der Gleichsetzung des parlamentarischen Systems mit dem Faschismus.“ Die parlamentarische Demokratie habe immerhin auch ermöglicht, daß der Vietnamkrieg nicht zuletzt wegen der Proteste in den westlichen Ländern beendet werden mußte. Entschieden wandten sich die Redner gegen die aktuellen Versuche, jede gewalttätige Regelverletzung mit Terrorismus gleichzusetzen. Podiumsteilnehmer Klaus Hartung: „Die neokonservative Rechte besetzt den Gewaltbegriff. Sie will Gesetzesbruch mit Gewalt gleichsetzen.“ Cohn–Bendit dazu: „Die Revolte schaffte ihren Durchbruch erst durch die Regelverletzung. Sie konnte nicht gewaltfrei sein. Wer heute symbolische militante Aktionen mit dem RAF–Terror gleichsetzt, spielt der RAF in die Hände.“ Fazit des ehemaligen Studentenführers, der sich heute zum Prinzip der Gewaltfreiheit bekennt: „Die damalige Trennung, Gewalt gegen Sachen Ja und Gewalt gegen Menschen Nein, hat sich auch im Nachhinein als einzig richtige erwiesen.“ Der Hochschulprofessor Ullrich Preuß wollte diese Differenzierung nicht mitmachen. Bezogen auf die autonomen Strommastabsäger sagte er: „Wer seine persönliche Frustration über die Übermacht der falschen Verhältnisse zur Rechtfertigung individueller militanter Aktionen nimmt, steht heute da, wo Mahler und Baader auch mal gestanden haben.“ Michael Miersch