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I N T E R V I E W „Das afghanische Regime ist eine Last“

■ Interview mit dem Afghanistan–Experten Jan Heeren–Grevemeier über Gorbatschows Ankündigung, im Rahmen der neuen Asienpolitik der Sowjetunion eine politische Lösung für das kriegsgeschüttelte Land zu finden

taz: Vor seiner Abreise nach Indien hat der sowjetische Parteichef Gorbatschow gestern angedeutet, daß sich die sowjetischen Truppen möglicherweise aus Afghanistan zurückziehen könnten und daß er sich eine politische Lösung auf der Grundlage der UN–Vorschläge vorstellen kann. Was hältst du von dieser Äußerung? Jan Heeren–Grevemeier: Im Grunde genommen nimmt das nur eine Entwicklung auf, auf die man zum Teil gewartet hat. Bislang hat die Sowjetunion ja eigentlich selbst wohl nicht richtig gewußt, wie sie agieren sollte. Die ganzen Verwirrungen der letzten sechs Jahre, wo es immer hieß: politische Lösung ja, aber die Sowjetunion will nicht, hatte wohl sehr viel damit zu tun, daß innerhalb der führenden Gremien der Sowjetunion selbst nicht richtig klar war, wie man mit diesem Fall Afghanistan verfahren sollte. Durch Gorbatschow ist Bewegung hereingekommen. Das heißt, man versucht jetzt eigentlich eine pragmatische Lösung zu finden. Wie ist das Verhältnis der Sowjetunion zu dieser eingesetzten Regierung? Es ist eines der größten Probleme für die Sowjetunion, daß es ihr nicht gelungen ist, ein stabiles Regime zu bilden. Selbst die Verwaltung und die Ministerien sind von sowjetischen Fachleuten durchsetzt. Das heißt, daß ihnen die Partei selbst dort überhaupt nicht geheuer ist. Zudem noch ist diese Partei zerstritten, und es gibt permanent innerhalb dieser Partei wirkliche shoot–outs zwischen den verschiedenen Flügeln. Wenn also die Sowjetunion ernsthaft vorhat sich da zurückzuziehen, dann könnten sie das auch ohne Rücksicht auf diesen Klotz am Bein? Sie können das natürlich nicht ohne weiteres machen, sozusagen das Regime kurzerhand einfach hängenlassen. Sie müssen schon eine Lösung finden, die ungefähr so aussehen könnte, sechs Monate Stillhalteabkommen auf jeden Fall, da darf also niemand eingreifen, so daß man nach außen sagen kann: Wir sind abgezogen und trotzdem herrscht Friede. Sie hat das ja schon einmal getan im Fall Aserbeidjans 1946 im Iran, wo sie genauso gehandelt hat. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich dann die jetztige afghanische Regierung selbst behaupten kann, ist gering. Wie schätzt du die Haltung des Widerstandes ein, wird er auf eine politische Lösung eingehen? Bislang hat der Widerstand eigentlich immer abgelehnt, jegliche politische Lösung mitzuunterzeichnen, die ohne sie geschieht. Ich könnte mir vorstellen, daß zumindest innerhalb einiger Parteien die Bereitschaft besteht, da mitzumachen. Auf der anderen Seite muß man ganz klar sagen: Wenn die Sowjetunion plant, das Regime an der Macht zu halten, und selbst abrückt, wird es ganz eindeutig zum Krieg gegen die Regierung kommen von seiten der Mudjaheddin. Und die sind inzwischen stark genug, das könnte man annehmen, um dieses Regime wahrscheinlich in kürzester Zeit beiseite zu drücken. Das darf die Sowjetunion natürlich nicht zulassen ... Das ist die Frage, daß sie das eventuell zuläßt, genau das. Interview: E. Rathfelder

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