Wahlkampf mit der Konsolidierungslüge

■ Der Eindruck eines geordneten Haushaltes wird nur durch Tricksereien erreicht / Heute letzte Lesung und Verabschiedung des Bundeshaushalts Sparpläne ohne sachliche Basis wurden eingerichtet / Umverteilung von unten nach oben / Ungebrochener Weg in den Lohnsteuerstaat

Von Manfred Busch

Die Angstmache vor dem Staatsbankrott hat nicht nur eine gehörige Rolle gespielt beim Regierungswechsel 1982. Die Koalition hat darüber einen breiten gesellschaftlichen Konsens für „Sparen“ hergestellt. Drastische Sozialkürzungen und rigorose Aufgabenbeschneidungen bei Bund, Ländern und Gemeinden wurden durchgesetzt. Aber hat diese Sparpolitik tatsächlich zum Abbau der Verschuldung, zur Konsolidierung geführt? Oder wurden mit den so gewonnenen finanziellen Spielräumen nicht eher Ansprüche einer Klientel aus Wohlhabenden und Unternehmern befriedigt? Kurz vorm Endspurt im Wahlkampf treibt die Bundesregierung einen gigantischen Etikettenschwindel, von Ordnung in den Staatsfinanzen kann weniger denn je gesprochen werden Bei den diesjährigen Haushaltsberatungen - heute wird der 87er Etat verabschiedet - wird offenkundig, was sich in den letzten drei Jahren abzeichnete: Es gibt keinen „Konsolidierungsfortschritt“ mehr, die Neuverschuldung stagniert auf dem Niveau von 1980. Nur durch kuriose Tricks und großartige Verdrängungsarbeit konnten die Koalitions–Abgeordneten im Haushaltsausschuß verhindern, daß der Haushalt 1987 eine steigende Neuverschuldung aufweist, z.B. - wurden 1,1 Milliarden DM kurzerhand als „globale Einsparung“ von Ausgaben verbucht, für die es keinerlei sachliche Basis gibt, au ßer der Erklärung Finanzminister Stoltenbergs, er werde eine solche Einsparung im kommenden Jahr schon durchsetzen; - sollen lediglich im Forschungsetat 200 Millionen DM für das laufende Haushaltsjahr gestrichen werden, insgesamt sind „globale Minderausgaben“ von 318 Millionen DM im 87er Haushalt angesetzt. - wurden 750 Millionen DM bei der Arbeitslosenhilfe einfach weggerechnet; zwar entfallen Hilfe–Zahlungen für ältere Arbeitnehmer, die in den Genuß verlängerten Arbeitslosengeld–Bezuges vom Bundesarbeitsamt kommen; erstens geht dies jedoch zu Lasten der Arbeitslosenversicherung, zum anderen wurde dies schon beim Ansatz im Regierungsentwurf berücksichtigt; - spült die „Mineralölsteuerspreizung“ ( + 2 Pf für bleihaltiges, - 5 Pf für bleifreies Benzin) dem Bundesfinanzminister nur solange Geld in die Kassen, wie der Umstieg auf bleifreies Benzin stagniert - 1987 sind hier rund 600 Millionen DM bei einem bleifreien Anteil von 10 anstehende ökologisch orientierte Verwendung der Zusatzeinnahmen ist nicht gedacht. - läßt sich der Zusammenbruch der EG–Finanzen 1987 sicher nicht mehr aufhalten, wenn die EG–Mitgliedsländer nicht nachschießen, was die Bundesrepublik am meisten träfe. Dies sind natürlich keine Themen für den Wahlkampf; in den Haushaltsberatungen des Bundestages spielten daher auch die Wahlversprechen die entscheidende Rolle: - die Koalition tritt mit ihrer Super– Steuerreform mit einem Gesamtvolumen von 40 bis 45 Milliarden DM vor die Wähler; - die SPD möchte 80 gen und 90 entlasten - ihr Zauberwort heißt „Rau–Tarif“; - die Grünen fordern eine aufkommensneutrale Tarifkorrektur, die einen existenzsichernden Grundfreibetrag mit einer verstärkten Progression verknüft Solange fortwährende Sozialkürzungen die finanziellen Mittel für Steuerentlastungen freisetzen (im Jahr 1985 immerhin 40 Milliarden DM), waren steuerliche Wiederbelebungsversuche für alle „Leistungswilligen“ finanzierbar. Gegenüber Geschenken an Unternehmen und Besserverdienende müssen die Konsolidierungs“erfolge“ verblassen. Bei der Unternehmensbesteuerung betragen die Steuereinbußen etwa 11 Milliarden DM pro Jahr; die Finanzhilfen liegen dagegen inzwischen bei über 14 Milliarden DM pro Jahr - nicht gerade ein Verhältnis, das für Konsolidierungsfortschritte spricht. Die 20–Milliarden–Steuerentlastung 1986/88 kommt zu einem sehr großen Teil den vergleichsweise wenigen Erwerbstätigen mit 60.000 DM (bzw. Verheiratete 120.000 DM) Jahreseinkommen. Die Neuverschuldung liegt immer noch bei 20 Milliarden DM, und rechnet mensch noch den Bundesbankgewinn hinzu, den der Finanzminister einstreicht, dann stehen der jetzigen Bundesregierung mehr Fremdmittel zur Verfügung als der Schmidt–Regierung im Jahre 1980. Das Lohnsteueraufkommen stieg seit 1980 geradezu dramatisch an - von 112 Milliarden auf 164 Milliarden DM. Der Marsch in den so verteufelten Lohnsteuerstaat setzt sich fort, wobei dem kräftigen Zugriff auf die Arbeitnehmereinkommen die faktische Steuerfreiheit der Zinseinkommen nach wie vor gegenübersteht. In der Regierungszeit Kohl - Stoltenberg stieg der Schuldenstand des Bundes um knapp 100 Milliarden DM. Dennoch könne eine höhere Kreditaufnahme zur Finanzierung der „großen Steuerreform“ in Kauf genommen werden, erklärte jüngst Stoltenberg wie vor ihm schon die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem gemeinsamen Herbstgutachten. Selten wird die Beliebigkeit wirtschaftswissenschaftlicher Argumente und ihr taktischer Einsatz so deutlich wie am Beispiel dieser Konsolidierungslüge. Mindestens zwei Wahlkämpfe haben die Konservativen mit dem Thema „Staatsbankrott“ und „ Staatsverschuldung“ gestaltet. Was damit wirklich gemeint war, zeigen jetzt die Erfolge bei der Umverteilung von unten nach oben. Dr. Manfred Busch ist Haushaltsexperte bei der Fraktion der Grünen im Bundestag