Das Rad

■ Die Psychoanalyse des Fahrrades

Irgendwann in grauer Vorzeit erfand ein schlauer Kopf das Rad. Seither wird die Menschheit von der quälenden Frage gerüttelt: Warum? Die Antwort ist leicht: Er wollte Fahrrad fahren. Die zunehmende Komplexität der Steinzeitwelt engte den Urmenschen immer mehr ein. Das Fahrrad bot die ideale Möglichkeit zum Ausbruch, denn, wie der Kölner Wissenschaftler Michael Degen in zahlreichen Gesprächen erforschte, sind Fahrradfahrten „kleine Fluchten aus einer unüberschaubaren Welt in eine neu gewonnene Freiheit“. Dies erklärt auch, warum etwa die Inkas das Rad nicht kannten. Die gebirgige Struktur seiner Heimat zwang den zur Freiheit drängenden Inka, sich notgedrungen auf Lamareiten zu verlegen. Michael Degen analysierte jetzt die Nachfahren des pedalophilen Ur–Düsentriebs und entwickelte eine erregende neue Theorie: die „Lehre vom psychischen Vierganggetriebe“. „Entspannt“ und glücklich träumend beginnt der Radler zu treten, bis ihm (2. Gang) die Welt der Autos und Busse nichtig, sein Fahrrad groß und einzig erscheint. Da packt ihn plötzlich heftiger Ärger, seine Auto–Askese wird zum Wahn, er selbst zum potentiellen Märtyrer, das Radeln zum „Akt gerechtfertigten Widerstandes“. Dann dreht er durch (4. Gang). Es wird „volle Pulle drauflosgebrettert“, die Verkehrsregeln lösen sich in nichts auf, „Hindernisse erscheinen als Herausforderung“. Wenn er nun noch lebt, ist er selber schuld. Gräßliches steht ihm bevor: die Couch von Herrn Degen. Matti Lieske