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Die große Eingemeindung unserer Geschichte

■ „Zentrale Historische Ausstellung zur 750–Jahr–Feier Berlins“ vorgestellt / Vom Urstromtal zur Metropole / Salbungsvolles zur „Topographie des Terrors“ / Der Dokumentation des NS–Terrors wurde eine provisorische Baracke „nebenan“ eingeräumt

Aus Berlin Klaus Hartung

Zwei ältere Männer stehen vor der Berliner Mauer, zwischen Stresemannstraße und Wilhelmstraße, reden aber nicht zur Mauer, sondern hin zu den frisch ausgegrabenen weißgekachelten Kellerresten, erregt und lautstark: „Also, wenn man schon nach vierzig Jahren ausgräbt, dann muß man tiefer graben. Daß es Opfer gegeben hat, das weiß doch heute jedes Kind. Da muß doch erklärt werden. Die Menschen haben sich doch von den Geheimämtern nie gelöst, damals gab es die Geheimen und heute gibt es die Geheimen...“. Die Kellerreste der ehemaligen Kunstgewerbeschule, das sind die sogenannten „Folterkeller“ der Gestapo - das Gebäude wurde ab 1933 als Gestapoamt und ab 1939 als Reichsicherheitshauptamt genutzt. Während die älteren Herren verbittert räsonierten, ging im Gropiusbau nebenan die Pressekonferenz zuende, in der der Berliner Kultursenator Hassemer und die Ausstellungsleitung die „Zentrale Historischen Ausstellung zur 750–Jahr–Feier“ vorstellten - mit besonderer Berücksichtigung der „Topographie des Terors“ nebenan: Im August 87 soll die große Ausstellung eröffnet werden und schon im Mai soll im Gelände nebenan der von Hassemer salbungsvoll „schlimmster Teil unserer Geschichte“ genannte Sachverhalt dargestellt werden. Natürlich redeten die Herren über die große Ausstellung und weniger über den großen Betrof fenheits–Appendix. Wenn man den gehässigen Umgang Berliner Verwaltungen mit der Geschichte der Stadt kennt, wenn man sich an das sehnsuchtsvoll dumpfe Ineins von Metropolennostalgie, Verkehrsplanung und bezirksamtlicher Frontstädterei erinnert, so muß man sagen: es liegt ein einwandsimmunes Konzept vor. Hauptlinie „Der Großstadtcharakter soll betont werden“ ( Baumunk). Kein „Gemütshistorismus“, Berlin sei „ungemütlich, herausfordernd , zukunftsweisend“. Ja, es geht um die „Allegorie der Großstadt“ (Baumunk) überhaupt, inklusive aller „Utopien“ zudem Preis von 15 Millionen DM, aber mit handlichem Katalog. Prof. Korff betonte, 2500 Exponate hätten sie nicht einfach genommen, sondern auch „ausgewählt“, die mit „Mitteln der Gestaltung Rhythmus und Abwechslung“ bieten werden - von der Ritterrüstung des Kurfürsten Joachim II. Hektor bis zum Originalmanuskript der Ich–Bin–Ein–Berliner–Rede J.F. Kennedys. „Schaulust“ gehe eben vor „Leselast“; Die Ausstellung beginnt im Urstromtal und kulminiert in der Metropole. Und nach 45? Prof. Hagen– Schulze: „Die Stadt der Trennung und der Mitte“ Europas; „Stadt des Widerstandes gegen den Totalitarismus“; „das Laboratorium der westlichen Welt“. Aus Ost– Berlin hätten sie leider keine Objekte, die hätten „die drüben“ selber gebraucht. Und der Betroffenheits–Appendix? Drei Ebenen sollen laut Prof. Rürup geliefert werden: 1. Spurensicherung, 2. Aussichtsplattform, von der aus man die Grundrisse der Gebäude (RSHA, Hotel Prinz Albrecht (Reichsführung SS), „Angriffs–Haus“) sehen kann. 3. Ein provisorisches Gebäude zur umfassenden Dokumentation des NS–Terrors. Auch die Geschichte der Verdrängung (Motto: Ehrlichkeit) soll dokumentiert werden. Ende der Verdrängung, nach einer widerwärtigen Geschichte von Verdrängung und Wiederkehr des Verdrängten: Freud hat leider keinen Begriff der Verdrängung im Greisenalter entwickelt, wo man nun alles zugeben kann, auch den „schlimmsten Teil unserer Geschichte“. Der Stachel ist weg, wenn 1987 gefeiert wird. Oder soll man sich darüber aufregen, daß für die umfassende Dokumentation des NS– Terrors eine provisorische Baracke von ganzen 200 qm vorgesehen ist?

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