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Nachtrag zu einer Reise

■ Protokollarische Zweideutigkeiten und der nichtgesprochene Teil der Süssmuth–Rede in Auschwitz

Bei der Reise der bundesdeutschen Delegation zur Eröffnung der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz gab es einige Randerscheinungen, die der Nachwelt nicht vorenthalten werden sollten. Zunächst war die Reise als eine Art private Danksagung der „Aktion Sühnezeichen“ geplant worden. Sie wurde aber desto offizieller, je deutlicher sich die Parteien am Ende der Legislaturperiode von ihrem Versprechen absetzten, noch etwas für die überlebenden NS–Opfer zu tun. Es entstand eine offizielle Bundestagsdelegation mit Frau Süssmuth. Nach der Reise erfuhr die Öffentlichkeit, daß es eine Süssmuth–Delegation war, mit Bundestagsabgeordneten. Die Initiatoren des Jugendzentrum– Projekts, die EKD (vertreten mit Synodalen und Präsidenten) und die Aktion Sühnezeichen wurden von der Regierungscrew in den Hintergrund gedrängt. Bemerkenswert ist auch, daß die Ministerin die Seite 3 ihres Redemanuskripts weggelassen hat, die wiederum von dpa und dem Korrespondenten der Frankfurter Rundschau zitiert wurde. Frau Süssmuth hat - laut Pressereferent - „aus Zeitgründen“ verzichtet, als erstes Mitglied dieser Bundesregierung Habermas zustimmend zu zitieren. Dieses Habermas–Zitat lautet: „Wir können einen nationalen Lebenszusammenhang, der einmal eine unvergleichliche Verzehrung der Substanz menschlicher Zusammengehörigkeit zugelassen hat, einzig im Lichte von solchen Traditionen fortbilden, die einem durch die moralische Katastrophe belehrten, ja argwöhnischen Blick standhalten.“ Wie gesagt: Frau Süssmuth verzichtete darauf, dem Kanzler Habermas um die Ohren zu schlagen. Die Vertreter von „Aktion Sühnezeichen“ waren über die Streichung jedenfalls empört, sprachen von „doppeltem Spiel“, weil es offenbar Frau Süssmuth mehr um den Auftritt als um ein selbstkritisches Bekenntnis gegangen sei. Durch die Streichung ist leider auch ein Satz der Öffentlichkeit entgangen, der von dem nichtgehaltenen Redeteil nicht zitiert wurde: „Ich habe den Eindruck, daß die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte erst beginnt.“ Ein richtiger, aber auch ein bedeutungsschwerer Satz. Meint die Ministerin etwas Hoffnungsvolles, oder drückt sie das Bedauern der Bundesregierung aus, daß trotz Bitburg noch immer nicht damit Schluß ist? KH. H.

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