Zwischen Anspruch und Machbarem

■ 365 Tage rot–grüne Koalition in Hessen / Das Umweltministerium als „Lehrlingswerkstatt / „Stille Sacharbeit“ im Parlament statt kämpferischer Interventionspolitik / Die magere Bilanz einer politischen „Testfahrt“

Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Wiesbaden(taz) -Heute vor genau einem Jahr drückte ein leichenblasser Ministerpräsident einem unrasierten Mann im provozierenden Fisch(er)grät–Jackett widerwillig die Hand. Mit dieser „Handreichung“ - nach der Vereidigung des ersten grünen Staatsministers dieses blauen Planeten - besiegelten die „Partner“ ein Zweckbündnis, das von seinen Gegnern als „Totgeburt“ und von seinen zurückhaltenderen Kritikern als „Notgeburt“ bezeichnet wurde: Hessens rot–grüne Koalition. Mitte Dezember 86 - genau 365 Tage nach dem Startschuß für die politische „Testfahrt“ - fühlen sich sowohl die Gegner als auch die „soften“ Kritiker dieser historischen Liaison bestätigt. Die selbsternannten und -bestellten „Müll–Experten“ aller Lager prügeln auf den grünen Umweltminister ein, der die blütenweißen Turnschuhe längst mit den olivgrünen Gummistiefeln vertauscht hat - um trockenen Fußes durch die Abfallberge waten zu können. Inzwischen grüßt der grüne Minister bereits „mitten aus der Scheiße“ seine enttäuschten Parteigänger. Dabei hatte „uns Joschka“ doch schon im Dezember 85 klipp und klar erklärt, daß er „kein Umwelt–Herkules“ sei. In der Tat: Das Ausmisten des hessischen Augias–Stalles scheint - anders als bei dem archaischen Helden - eine Aufgabe zu sein, die nur in mehreren Legislaturperioden bewältigt werden kann. Doch darauf können die Götter - auch in Hessen - keine Rücksicht nehmen. In schönster Regelmäßigkeit forderten grüne Funda mentalisten und schwarze Christdemokraten den Minister zum Rücktritt auf - und „Zeus“ Börner hüllt sich klug in Schweigen. Nicht umsonst heißt das Umweltministerium im Landtags–Polit jargon nur „die Lehrlingswerkstatt“. Daß Joschka Fischer in der Tat im „ersten Lehrjahr“ kaum über das „Bier– und Fleischwurstholen“ für die sozialdemokratischen „Meister“ hinauskam und sich - im Gegenteil - bei diversen Projekten Ohrfeigen einhandelte (wie etwa bei der gescheiterten Einführung der Bio–Tonne), mag an den Machtverhältnissen in Wiesbaden und in Bonn liegen. So hält der Minister - angesichts des drohenden Notstandes im Sondermüllbereich - Produktionsstillegungen für „politisch nicht realisierbar“. Ein Versuch, z.B. die Hoechst AG an diesem Punkt in die Knie zu zwingen, so Fischer Ende November, würde allenfalls damit enden, „daß Wallmann hessischer Ministerpräsident wird“. Daß der Koalitionsbeschluß den Grünen auch einen zweiten „Schalthebel der Macht“ in die griffbereiten Hände gedrückt hat, haben die meisten Beobachter der Wiesbadener Regierungsszene inzwischen schlicht „verdrängt“. Mit Marita Haibach, der Staatssekretärin der Bevollmächtigten des Landes Hessen für Frauenangelegenheiten, sollte in der hessischen Frauenpolitik „eine neue Ära“ anbrechen. Daß der grünen Staatssekretärin eine rote Ministerin - Vera Rüdiger - vor die Nase gesetzt wurde, trägt wohl die Hauptverantwortung dafür, daß es sich in der Frauenvilla „Kunterbunt“ nur unter der Decke „arbeiten“ läßt. „Im Stillen“ wurden die hessischen Frauenprojekte finanziell und ideell gefördert und gefordert, denn der „Frau wie ein Schaufelbagger“(Metropolenmagazin „Pflasterstrand“) sieht nicht nur „man“ an, daß sie es genießt, sich im katalysatorbestückten Opel–Admiral vor die Frauenhäuser chauffieren zu lassen. Und die grüne Landtagsfraktion? Die trat - mehr unfreiwillig denn gewollt - in den letzten zwölf Monaten aus dem Rampenlicht. Die „stille Sacharbeit“ hat auch auf der parlamentarischen Ebene die kämpferische Interventionspolitik der Prä–Koalitions– Ära abgelöst; schließlich ist „man“ Regierungspartei. Die Gratwanderung zwischen der Befriedigung der Ansprüche der eigenen Klientel, die sich von der Regierungsbeteiligung der Grünen die schlagartige realpolitische Veränderung der Verhältnisse nicht nur an der „Müllfront“ erhofft hat, und dem tatsächlich Machbaren wird also weitergehen. Die dicken Brocken - wie etwa die Medienpolitik, die anstehenden Genehmigungen für die Hanauer Atomschmieden, die Konflikte um die Volkszählung oder um die Kompetenzen der hessischen Polizei - müssen noch vor der nächsten Hessenwahl im Herbst 87 aus dem Weg geräumt werden. Am 8.Februar - gut vierzehn Tage nach der Bundestagswahl, nach der auch in Hessen die „Machtkarten“ neu gemischt werden - werden die hessischen Grünen auf ihrem Landesparteitag ohnenhin vor der sogenannten „Gretchenfrage“ stehen. Da sich in Biblis und in Hanau bis heute noch nichts „bewegt“ hat, steht - nach der Beschlußlage der Partei - der Koalitionsbruch ins Haus. Aber in Hessen ist es schon immer irgendwie weitergegangen mit rot–grün: Wetten daß?