: Tote Fernschreiber und eine ungewisse Zukunft
■ Seit einer Woche streiken die Journalisten der französischen Nachrichtenagentur afp / Deutschsprachiger Dienst soll von Paris nach Bonn verlagert werden / Journalistische Ansprüche contra finanzielle Pleite
Aus Paris Georg Blume
„Die Agence France–Presse, die afp, ist vom Tode bedroht.“ Wenn Andre Fontaine, Herausgeber von „Le Monde“, in solch deutlicher Form Alarm schlägt, dann ist das kein Bluff. Seit sieben Tagen stehen die Nachrichtenticker der drittgrößten westlichen Presseagentur in 150 Ländern der Erde still. Durch den längsten Streik in der Geschichte von afp ist die Zukunft der Agentur ungewiß. Im mächtigen Pariser Zentralgebäude herrscht gespannte Stimmung. Die Angestellten warten auf den Rücktritt ihres Chefs. Seit 1979 heißt der Generaldirektor der afp Henri Pigeat, ein Berufsbeamter aus einer der großen Eliteschulen der Nation, der ENA. Seit 1984 steht sein Name für den „Entwicklungsplan“ der afp. Mit diesem Plan, der staatliche Investitionen über 65 Millionen Mark vorsieht - ein Viertel des Jahresbudgets - setzt Pigeat auf eine Diversifikation der afp–Aktivitäten, wie sie der große englische Konkurrent Reuter bereits vorgenommen hat. Doch die neuen Projekte - ein internationaler Photodienst, ein Weltsportservice, ein gesonderter Magazindienst u.a. - werfen keine schnellen Profite ab, stattdessen akkumulieren sich die Defizite dramatisch: 17 Millionen Mark 1984, 21 Millionen Mark 1985 und noch einmal 20 Millionen für 1986. So sah sich Pigeat im Sommer dieses Jahres gezwungen, einen „Restrukturierungsplan“ vorzulegen, der erstmals Entlassungen vorsieht: 150 von 2.000 afp–Journalisten und 150 technische Angestellte sollen den Dienst quittieren. Darüber hinaus verlangt Pigeat eine Neuordnung der Auslandsdienste. Im Juli streikten die afp–Angestellten erstmals gegen die Entlassungen und erreichten - dank eines erneuten Staatszuschusses über 10 Millionen Mark - Zeitverzögerungen und hohe Abfindungen. Vor einer Woche nun entzündete sich der Arbeitskonflikt an dem zweiten Pigeat–Vorhaben, das die afp–Gewerkschaften im Sommer bereits gebilligt hatten: der Neuordnung der Auslandsdienste. Erster Betroffener: der deutschsprachige Dienst in Paris. Er soll nach Bonn ausgegliedert werden, wo die Agentur seit dem 8.12. bereits ein neues Büro eingerichtet hat. Seit diesem Datum streikt auch der deutsche Dienst in Paris und brachte so die Streikbewegung in Gang. „Die Frankreichberichterstattung ist unser Schwerpunkt“, erklärt Elke Bastian vom deutschen afp–Dienst. „Gerade deshalb wollen wir nicht nach Bonn. Unsere Berichterstattung lebt davon, daß wir in Frankreich leben, französisch denken, oder auch nur die französischen Zeitungen lesen. In Bonn hätten wir die französische Presse einen Tag später, und das ist zu spät.“ Elke macht sich lustig über die ersten Arbeitsversuche der neu eingestellten Bonner Kollegen, bei denen es mit den Übersetzungskünsten noch hapert: als die Polizei während der Studentenrevolte das Quartier Latin besetzte, sprach man in Bonn von einem Einsatz der Armee. „So etwas kann bei uns nicht vorkommen, weil wir hier leben“, sagt Elke. Henri Pigeat nennt den jetzigen Journalistenstreik einen „politischen Aufstand“. Und so unrecht hat er nicht. Die Journalisten streiken für die politische Qualität ihrer Arbeit. „Wir werden unseren europäischen Blickwinkel verlieren und nicht mehr in der Lage sein, die Einheits–Infos aus den USA zu durchkreuzen,“ sagt der Argentinier Osvaldo Ciezar vom Pariser Lateinamerika–Dienst, der nach Henri Pigeats Plänen nach Washington verlegt werden soll. „Heute bringen wir den Standpunkt des State–Departments zu Lateinamerikafragen niemals allein, in Washington gibt es einen Informationsfilter, der uns dazu zwingen wird.“ Die afp– Journalisten sind zudem überzeugt, daß Pigeat mit der Auslagerung gleichzeitig einen Abbau der Auslandsdienste anvisiert. In Bonn und Washington sollen nur noch zwei Drittel der jetzt in diesen Diensten Angestellten übernommen werden. Im Streikaufruf heißt es: „Die internationale Ausrichtung der afp ist heute in Gefahr.“ Ein Gewerkschaftsvertreter formuliert: „In Lateinamerika beispielsweise würde die AFP ihr Ansehen als nicht–angelsächsische Agentur verlieren.“ Es hat gute Gründe, daß den Verwaltungsrat der afp, dem Pigeat verpflichtet ist, solche Argumente wenig interessieren. Seine Mehrheit setzt sich nach einem Gesetz von 1957 aus Presseunternehmern der französischen Provinz zusammen, die sich vor allem für billige afp–Abonnementspreise und die weniger aufwendige Inlandsberichterstattung interessieren. Bis Donnerstag mittag zeichnet sich noch keine Lösung des Arbeitskonfliktes ab. Doch zweifelt kaum jemand mehr am Rücktritt Henri Pigeats, der als Vorausetzung für die Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und afp–Leitung gilt. Alle Seiten warten auf eine erneute Intervention des Staates, die allein in der Lage scheint, finanzielle und journalistische Ansprüche zu versöhnen.
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