Gegen Aufnahmeprüfungen und Uni–Gebühren

■ Der Sieg der französischen Bewegung hat auch auf die spanischen Schüler und Studenten ansteckend gewirkt / Über eine Million demonstrierten diese Woche in ganz Spanien / Es geht gegen Selektion und Universitätsgebühren

Aus Madrid Hella Schlumberger

Wohl um die 50.000 spanische Schüler und Studenten waren es, die sich in streng getrennten Zügen im Mittagsglast des 17. Dezember von der Plaza Logazpi, nördlich des Manzanares bis zum Erziehungsministerium in der Calla Alcala bewegten. Im ganzen Land war es über eine Million, die ihren Unmut über das kundtaten, was den Universitäten als „Reform“ verkauft wird und in Richtung neue Eliten, Verschulung, Ent–Demokratisierung und (finanzielles) Aushungern kritischen Denkens geht. In Spanien heißen die Reizworte: „Selectividad“ (Aufnahmeprüfungen an die Universität nach dem Abitur), Septemberexamen, Universitätsgebühren und Regierungspolitik zu Stipendien und Zuschüssen für die öffentliche Erziehung. „We shall overcome“ Leicht ratlos aber weitgehend sympathisierend steht die Öffent lichkeit den Forderungen „ihrer“ chicas und chicos gegenüber. Das plötzliche friedfertige massenweise Auftreten dieser 15– bis 20–Jährigen, ihre konkreten Forderungen, ihr Sieg in Frankreich, ihre Wirkung auf die Regierenden der Nachbarländer machen hier nicht nur die Medien stutzig. Keine besonders originellen Transparente oder Sprechchöre gab es; „we shall overcome“ wurde hie und da angestimmt, „Estudiantas“ skandiert (was sowohl Schüler wie auch Studenten heißt) und aus einem Lautsprecherwagen tönte es, daß sie siegen werden. Die Geschäftsleute hatten die Läden ihrer Geschäfte nur halb heruntergelassen, standen lächelnd oder leicht kopfschüttelnd in den Türen, von den Balkons herunter winkten die Zuschauer. Sie sollten doch herunterkommen, riefen die Studenten und mitdemonstrieren. Mit dabei waren: Marcelino Camacho von den Comisiones Obreras, Jose Manzanares von der (Regierungs–)Gewerkschaft UGT, Javier Paz von der Soziali stischen Jugend und Gerardo Iglesias, Generalsekretär der kommunistischen Partei. „Historisches Ereignis“ Doch wem dieses „historische Ereignis“ zu verdanken ist, wer als Verantwortlicher gelten kann, darum streiten sich zwei Organisationen: die Studentengewerkschaft und die erst seit Montag bestehende Coordinadora von Schülern und Studenten, die sich auch gleich frech an die Spitze der Demo gesetzt hatte. „Sektiererisch“, sagt die Studentengewerkschaft. Zwei Abordnungen verlangten dann auch den Erziehungsminister zu sprechen. Salomonisch ließ er beide Gruppen getrennt empfangen. Während Demonstranten den Verkehr der Gran Via aufhielten, damit die „Anti–Disturbios“ der Polizei anlockten, die sich mit rechten Studenten und Mitgliedern von Sportorganisationen Schlägereien lieferten, bei denen es einen Schwer– und acht Leichtverletzte gab, standen im ebenerdigen Cafe der Bellas Artes die Gä ste dichtgedrängt am Fenster und auf dem Balkon und kommentierten das Ereignis fröhlich wie ein Fußballspiel. Kleine Erfolge Anders der Erziehungsminister Jose Maria Maravall. Schon am nächsten Tag beeilte er sich zu versichern, daß die Universitätsgebühren fast gar nicht, also nur um 5 25 lockergemacht würde. Er verstehe ja, sagte er, die tieferen Beweggründe der Schüler und Studenten. Ihre Angst vor der Zukunft und die „große Schwierigkeit, heutzutage jung zu sein.“ Die „Selectividad“ könne er aber mit bestem Gewissen nicht abschaffen, seien doch die Universitäten in den letzten 15 Jahren um 900 freie Wahl des Studiums beträfe, so wisse er, daß von zehn Studenten neun die von ihnen ausgewählten Fächer auch studieren könnten. Juan Ignacio Ramos, der Sprecher der Studentengewerkschaft, hielt es bereits für einen großen Erfolg, daß der Minister versprochen hatte, über die weiteren Forderungen „nachzudenken“. „Wenn das Ministerium nicht nachgibt“, sagte er, „machen wir im Januar weiter.“ Genau dasselbe hat auch die Coordinadora angekündigt. Es wäre ganz sicher im Sinne der Regierung, wenn die Studenten, die bisher durch Einigkeit und Disziplin beeindruckt haben, sich so spalten und Schachmatt setzen würden.