Freispruch in 129a–Verfahren.

■ Zwei Sätze aus einer Stuttgarter Stadtzeitung veranlaßten die Bundesanwaltschaft zur Anklage / In Berufungsverhandlung wurde der verantwortliche Redakteur freigesprochen

Stuttgart (taz) - Mit einem Freispruch vom Vorwurf der Werbung für eine terroristische Vereinigung endete am vergangenen Montag vor einem Schöffengericht des Stuttgarter Landgerichts der Prozeß gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der Stuttgarter Stadtzeitung „sBlättle“. SBlättle hatte in seiner Januarausgabe 1984 einen Aufsatz über den Siemenskonzern, die Arbeitsbedingungen in verschiedenen Siemensniederlassungen und eine detaillierte Zusammenstellung von Siemensbeteiligungen an der Rüstungsproduktion veröffentlicht. Unterzeichnet war der Beitrag mit dem Signum der „Roten Zora“, einem schwarzen Stern innerhalb eines Frauenzeichens. Zwei Sätze der Veröffentlichung hatten auf Betreiben der Karlsruher Bundesanwaltschaft zur Anklage gegen den presserechtlich Verantwortlichen vor einem Stuttgarter Amtsgericht geführt: „Damit die Verantwortung (von Siemens) an Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung sichtbar wird, haben wir in der Nacht zum 6.11.83 an zwei Werken der SIEMENS–KOMMUNIKATIOS– TECHNIK in Witten und Braunschweig Sprengsätze gezündet“, so die inkriminierte Passage. Der presserechtlich Verantwortliche des Stadtzeitungskollektivs konnte in der ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht nachweisen, daß ihm der Text des Artikels erst nach Veröffentlichung bekanntgeworden war, und wurde freigesprochen. Bei der Berufungsverhandlung vor dem Stuttgarter Landgericht mußte deshalb erneut geklärt werden, ob die genannte Textstelle bei der gemischten Leserschaft des Blättle überhaupt eine gezielte „Werbung“ im Sinne des § 129a darstelle, und ob der im Impressum genannte Verantwortliche eines Redaktionskollektivs auch grundsätzlich für alle Texte seiner Zeitschrift haftbar zu machen sei. Seine verneinende Ansicht hatte der Verteidiger des Blättle–Redakteurs ausgerechnet mit einem juristischen Kommentar des Generalbundesanwalts Rebmann belegt. Der Vorsitzende wollte denn auch dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft wegen „Werbung“ nicht mehr folgen und sprach den angeklagten Redakteur frei. Zeugenaussagen von Beamten des Landeskriminalamts und die Lektüre des Verfassungsschutzberichts 1983 hatten außerdem ergeben, daß, jedenfalls zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, die Existenz einer „Terroristischen Vereinigung Rote Zora“ nur der Bundesanwaltschaft bekannt war. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hatte trotz Lektüre des Artikels keine Strafanzeige gestellt. Die Entscheidung eines weiteren Verfahrens gegen Mitarbeiter der Stadtzeitung wegen der Veröffentlichung eines Interviews mit Angehörigen von Gefangenen der RAF vor dem Stuttgarter Landgericht steht noch aus.