Uruguay: Widerstand gegen die Amnestie

■ Das Parlament hat beschlossen, die Verbrechen der Diktatur ungesühnt zu lassen / Nun wollen die Ex–Guerilleros der Tupamaros, die Mütter der Verschwundenen, Linksparteien und Gewerkschaften ein Plebiszit über die Amnestie erzwingen

Aus Montevideo Gaby Weber

Die Regierung hatte für perfektes Timing gesorgt: Am Wochenende vor Weihnachten verabschiedeten Senat und Abgeordnetenhaus von Uruguay mit den Stimmen der oppositionellen Nationalen Partei und der regierenden Colorado– Partei ein Gesetz, nach dem alle Menschenrechtsverletzungen der früheren Militärdiktatur von der Strafverfolgung ausgeschlossen werden (siehe taz vom 23.12.86). Zwei Tage lang rechtfertigten die Regierungsblätter das „Projekt zur Befriedung des Landes“ und sorgten sich vor allem über die Straßenschlacht vor dem Parlament, bei der gerade 14 Autoscheiben zu Bruch gegangen waren. Dann kam Weihnachten, und die Gemüter sollten sich im Zeichen der Liebe und der Eintracht unter dem Plastikbaum beruhigen. „Das Land muß jetzt die Vergangenheit engültig begraben“ - so verbreitete Staatspräsident Julio Maria Sanguinetti zum Jahresausklang Optimismus. Und Ende Dezember, bei Temperaturen bis zu 30 Grad, beginnt in Uruguay bereits die Saison. Dann leert sich Montevideo, und Rechte wie Linke verbringen den Urlaub auf dem Land und am Strand. Doch trotz Christkind, großen Ferien und Sonne brach das große Schweigen zum Thema Straffreiheit für Militär und Polizei nicht aus. Im Gegenteil: Noch vor Weihnachten forderte die MLN/Tupa maros, einst legendäre Guerilla, heute legale politische Gruppierung, in einer Erklärung zu einer breiten Mobilisierung auf, um über einen Volksentscheid das Gesetz zu Fall zu bringen. Und kurz darauf ergriffen die Mütter der Verschwundenen die Initiative. Sie gaben bekannt, daß sie schon ab Ende Januar, wenn in Uruguay der Karneval beginnt, Unterschriften sammeln werden, um die Regierung zu einem Plebiszit zu zwingen. Sie haben ein Jahr Zeit, um 550.000 Unterschriften, das heißt ein Viertel aller Wahlberechtigten, zusammenzubringen. Schützenhilfe haben sie inzwischen von etlichen Gruppen erhalten: Außer den Tupamaros haben alle im Linksbündnis „Frente Amplio“ vertretenen Parteien ihre Unterstützung zugesagt: Christdemokraten, die linksliberale „Partei für die Regierung des Volkes“, Sozialisten, Kommunisten und unabhängige Linke. Aber auch Politiker der rechtskatholischen Union Civica wollen sich an der Aktion beteiligen. Teile der Nationalen Partei - darunter zwei einflußreiche Bürgermeister aus dem Landesinneren - werden entgegen Parteibeschluß mitsammeln. Daneben haben bereits ihre Unterstützung angekündigt: der Gewerkschaftsdachverband PIT/ CNT, die Vereinigung der Wohnungskooperativen FUCVAM, die Menschenrechtsorganisation SERPAJ und die Studentenvereinigung ASCEP/FEUU, um nur die mächtigsten zu nennen. Unabhängig davon formiert sich in Justizkreisen Widerstand. Artikel drei des Gesetzes, so heißt es, sei verfassungswidrig. In diesem Paragraphen wird die Aussetzung der Strafverfolgung konkret beschrieben: Der Untersuchungsrichter muß für jedes einzelne der etwa 50 bisher vorliegenden Verfahren bei der Exekutive nachfragen, ob die Straftat als „politisch motiviert“ oder „befohlen“ angesehen wird. Wenn die Regierung diese Definition bejaht, muß der Richter die Ermittlungen einstellen. Dies verstoße - so eine Erklärung des obersten Gremiums der Universität - gegen die Gewaltenteilung. „Die Rechtsprechung beinhaltet nicht nur die Interpretation der Gesetze“, begründet der Jura–Professor Horacio Cassinelli, „sondern auch die Feststellung der Straftaten, auf die diese Gesetze dann angewendet werden“. Mit anderen Worten: Ob zum Beispiel die Ermordung eines Gefangenen ein Mord ist, bestimmt das Gesetz und nicht der Präsident. Im Übrigen - so Cassinelli - betreffe das Gesetz ohnehin nur den strafrechtlichen Teil des Verfahrens. Es stehe weiterhin jedem früheren Gefolterten oder dessen Verwandten zu, zivilrechtlich gegen die Militärs vorzugehen und auf Schadensersatz zu klagen. Und selbstverständlich müßten diese Fälle dann auch von den Richtern aufgerollt werden. Auch die Rechtsanwaltsvereinigung hat das Gesetz als „verfassungswidrig“ und „undemokratisch“ bezeichnet. „Das Recht zu strafen verfällt nicht und kann durch die Staatsmacht nicht ausgelöscht werden.“ Die Verfassung sehe eine Amnestie oder die individuelle Begnadigung erst nach erfolgtem Prozeß vor. Das verabschiedete Gesetz sehe aber gerade die Nicht–Anwendung der Verfassungsnormen vor. Die Erklärung der Anwälte wendet sich auch gegen Artikel zwei des Gesetzes, in dem diejenigen Fälle von der Straffreiheit ausgenommen werden, in denen sich Militärs persönlich bereichert haben. „Daß das Recht auf Eigentum“, so die Anwälte, „höher bewertet wird als das Recht auf Leben, auf Schutz der Ehre, der Freiheit und Sicherheit, ist den humanistischen Prinzipien, auf denen unsere Verfassung basiert, völlig entgegengesetzt.“ Staatspräsident Sanguinetti setzt unterdessen auf Durchhalteparolen. Wenn das Plebiszit unvermeidbar wird, werde die Regierung ihr ganzes Gewicht einbringen, um das Gesetz zu verteidigen. „Die Exekutive übt keine Rechtsprechung aus, sondern bescheinigt lediglich den politischen Charakter (einer Straftat)“ - so weist der Präsident die Kritik aus Justizkreisen zurück - „das derzeitige öffentliche Klima übt einen schlechten Einfluß auf die Richter aus.“