Kohl vergleicht wieder: KZs in der DDR

■ Scharfe Kritik auf Kohl–Äußerung zu Konzentrationslagern in der DDR / ADN: In der DDR keine Landsleute von Kohl / Geißler: Vergleich ist „gerechtfertigt“

Aus Berlin Klaus Hartung Als einen „öffentlichen Skandal“ bezeichnete der ehemalige Ständige Vertreter der BRD in der DDR, Günter Gaus, die Äußerungen von Helmut Kohl. Auf dem sogenannten Deutschlandtreffen der CDU in Dortmund hatte der Kanzler am Sonntag erklärt, die DDR sei „ein politisches Regime, das über 2.000 unserer Landsleute als politische Gefangene in Gefängnissen und Konzentrationsla gern“ halte. Als Einziger in der Flut der Stellungnahmen wies Gaus darauf hin, daß viele Vertreter der DDR–Führung in Konzentrationslagern gesessen hätten. Der FDP–Generalsekretär Haussmann betonte: „Dies ist nicht unsere Sprache“. Zwar gebe es für die DDR–Bürger weniger Freiheiten, aber mit derlei Vergleichen würde es der Sowjetunion und der DDR leicht gemacht, sich dem Entspannungsprozeß zu entziehen. Auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Möllemann, warnte vor dieser Tonart im Wahlkampf, wodurch die Ost–West– Beziehungen geschädigt würden. Wahlkämpfer Rau urteilte fachlich: Mit solchen Äußerungen wolle Kohl „rechtsaußen im politischen Spektrum“ Stimmen sammeln. Ansonsten gestand er, die Äußerung habe ihn „bedrückt“. Insgesamt haben die SPD–Kritiken den Tenor: neues Beispiel in der Serie der Kohlschen „Fehlleistungen“. „Immer wieder verliert er die Maßstäbe und vergleicht Unvergleichbares, ...verschwätzt aus Mangel an politischem Verstand und diplomatischem Takt die Ostpolitik der Bundesrepublik“ (Glotz). Auch SPD– Fraktionschef Vogel meint, daß mit solchen Vergleichen „Schindluder mit deutschland– und außenpolitischen Interessen“ getrieben werde. Die DDR erklärte in einer sachlich argumentierenden Stellungnahme laut ADN, daß es keine politischen Gefangenen in der DDR gebe, mit „Ausnahme von Personen, die wegen Kriegs– und Naziverbrechen“ verurteilt sind. Im übrigen seien „DDR–Bürger, soweit sie aus irgendeinem Grunde straffällig geworden sind, keine Landsleute von Kohl.“ Daß es sich bei der Kohl–Formulierung keineswegs um eine „Fehlleistung“, sondern um ein präzises Wahlkampfmanöver handelt, zeigt die gut vorbereitete Verteidigerfront für Kohl. Die „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ und die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ verwiesen auf „Haftarbeitslager“ in der DDR und widerlegten insbesondere die ADN–Äußerung. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Der Parlamentarische Staatssekretär im Innerdeutschen Ministerium, Hennig (CDU), sagte, es dürfe nicht vergessen werden, daß nach dem Krieg einzig in der damaligen sowjetischen Besatzungszone die nationalsozialistischen KZs fortgeführt worden seien, wobei im ehemaligen KZ– Buchenwald zwischen 1945 und 1950 angeblich mehr als 10.000 Menschen umgekommen seien. Allerdings gebe es jetzt „im tech nischen Sinne“ in der DDR keine KZs mehr. Auch Regierungssprecher Ost bekräftigte den Kanzler– Vergleich: in den Zuchthäusern würden die politischen Gefangenen zu Arbeiten mit schwersten gesundheitlichen Bedingungen herangezogen. Ost betonte, daß schließlich DDR–Gefangene selbst von Konzentrationslagern reden würden. Am aufschlußreichsten sind die Rechtfertigungen des CDU–Generalsekretärs Geißler: Er meinte, das Wort Konzentrationslager sei schließlich „ein allgemeiner Begriff“. Im gewissen Sinne bedauerte er es geradezu, daß der Begriff KZ „belastet“ sei, weil die Nationalsozialisten aus den Konzentrationslagern Vernichtungslager entwickelt hätten. Er jedoch sehe nur einen „semantischen Unterschied“ zwischen den Begriffen KZ und Archipel– Gulag. Im übrigen erwarte er keine Beeinträchtungen der Beziehungen zur DDR. Geißler empörte sich, daß die SPD anscheinend nur Konzentrationslager auf „westliche Militärdiktaturen“ anwende, aber nicht „auf kommunistische Unterdrückungsmethoden“. In diesem Krieg der Stellungnahmen, in dem der Begriff des Konzentrationslagers zur Wahlkampfmasche gemacht wird, ist es sehr wahrscheinlich, das leise Mahnungen überhört werden, zum Beispiel die des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin, Galinski: „Wer diese schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit mit heutigen Ereignissen vergleicht, geht einen gefährlichen weg“, sagte er (vgl. diese Ausgabe S. 4), einen Weg, „Vergessen zu predigen und die Vergangeneheit zu verharmlosen.“