Kälte, kein Transport: Franzosen haben Nase voll

■ Die Streikfronten bröckeln, obwohl weder die Beschäftigten des Pariser Nahverkehrs noch die der Elektrizitätsversorgung ihren Lohnforderungen näherkommen / Gewerkschafter demonstrieren für Streiks, Rechtsparteien dagegen

Aus Paris Georg Blume

Ist der Streik in Frankreich nun endlich vorbei? „Ist mir vollkommen egal. Ich bin erkältet und gerade erst aufgestanden. Sagen Sie mir lieber die Lottozahlen.“ Der ältere Bahnkunde, der sich am frisch wiedereröffneten Bahnhofsschalter sein Ticket holt, will von dem Streik nichts mehr wissen. Und warum bröckelt der Streik jetzt ab? Der Hintermann fällt ein: „Selbst wenn sie recht hätten, die Eisenbahner, es dauert zu lange.“ Der Eisenbahnverkehr war nach Angaben der SNCF auf den Fernstrecken „fast normal“. „Aktion steht auf der Tagesordnung, überall und für alle,“ schreit dennoch Henri Krasucki, Generalsekretär der kommunistischen CGT–Gewerkschaft in sein Mikrophon. Heute ruft die CGT auch die Angestellten der staatlichen Verwaltung zum Streik auf. Doch die Worte Krasuckis erstarren in der Kälte. Seine Organisation scheint es selbst zu bemerken, als sie kurz darauf ihre Streikenden bei den Elektrizitätswerken aufruft, Stromausfälle aufgrund der sinkenden Temperaturen heute zu verhindern. Das Wetter, das weiß jeder, spielt nicht für den Streik. Erhebliche Behinderungen gab es allerdings nach wie vor im Pariser Nahverkehr, wo die Bediensteten der städtischen Verkehrsbetriebe RATP ihren Arbeitskampf fortsetzten. Nach Angaben der RATP–Direktion verkehrte die Metro am Montag im Durchschnitt zu etwa 50 Prozent. Im Konflikt zwischen Beschäftigten und Direktion der RATP zeichnete sich weiterhin keinerlei Einigung ab. Auch beim staatlichen Elektrizitätsversorgungsunternehmen EDF war am Montag noch keine Einigung in Sicht, nachdem die dort am stärksten vertretene prokommunistische Gewerkschaft CGT die von der Direktion angebotene geringfügige Lohnerhöhung abgelehnt hat. An diesem Montag beherrschen endgültig die zwei zu Beginn bedeutungslosen Lobbies des seit einem knappen Jahrzehnt schwersten französischen Arbeitskonflikt das Geschehen: CGT und Regierung. Kein anderer läßt mehr demonstrieren, ob für oder gegen den Streik. CGT und die rechten Regierungsparteien halten die Straße besetzt, auch wenn ihren Demonstrationsaufrufen bisher keine Massen folgen. Die Eisenbahner, deren Streik von der Basis kam, sind hilflos. „Man führt einen psychologischen Krieg gegen uns, die Regierung, die Medien, das Fernsehen vorallem,“ erklärt ein noch streikender Bahnschalterangestellter. Seit der Studentenrevolte, als das Fernsehen durch seine außergewöhnlich kritischen Reportagen die Stimmung gegen die Regierung mittrug, ist Zeit vergangen, genug Zeit für die im Dezember neu nominierten rechten TV– Chefs, ihre Redaktionen auf Vordermann zu bringen. Doch das Fernsehen allein gibt keine Erklärung. Didier Dupuy, „Beobachter“ vom Pariser Gare de Lyon in der Nationalen Koordination der Eisenbahner geht einen Schritt weiter: „Die Mobilisierung kann nicht per Dekret geschehen. Die CGT–Aufrufe führten zu einer Pseudo–Ausweitung des Streiks.“ Didier ist nicht gegen die Streikbeteiligung der anderen, nur:“Im öffentlichen Dienst sind die Situationen unterschiedlich, und jeder Streik muß in seinem Bereich vorbereitet sein, um erfolgreich zu sein.“ Sicher ist auch, daß die unerbittliche Härte der Regierung in allen Verhandlungen die Eisenbahner entmutigte. „Nach 25 Streiktagen stehen wir immer noch vor einer derartigen Mauer, daß keiner mehr glaubt, noch Steine bewegen zu können,“ meint ein Kollege Didiers. Doch bereuen wollen sie den Streik nicht. „Wenn wir die Arbeit wieder aufnehmen, dann mit erhobenen Kopf,“ sagt Didier, der keine Voraussage mehr wagt, wie die Vollversammlung am Abend über den Fortlauf des Streiks abstimmen wird. Auch wenn am Montag die öffentlichen Pariser Verkehrsbetriebe weiter streikten, so spürte man doch, daß sich der Wind zugunsten der Regierung gedreht hatte. Zu spät, gestern abend, die nationale Demonstration der Regierungsparteien in Paris. Zu spät auch die Studentenversammlung am Sonntag in Paris, die ihre Solidarität mit den Streiks bekundete.