Türkische Militärs drohen der Regierung

■ Gerüchte über ein Memorandum der türkischen Generäle gegen die islamischen Fundamentalisten lösten in der Türkei Verunsicherung aus / Im ganzen Land protestierten Studenten/innen gegen das Kopftuchverbot / Islamische Zellen in den Offiziersschulen?

Aus Istanbul Ömer Seven

Gerüchte über ein Memorandum von Generälen an den türkischen Staatspräsidenten Kenan Evren, in dem diese ihre Beunruhigung über die zunehmenden Aktivitäten der islamischen Fundamentalisten zum Ausdruck brachten und energische Maßnahmen forderten, wurden am vergangenen Donnerstag in einer eilig zusammenberufenen Pressekonferenz von Ministerpräsident Turgut Özal dementiert. Parallel erfolgte ein Dementi von dem Ex–Putschisten und gegenwärtigen Staatspräsidenten Evren. Nachdem die Nachricht über das Memorandum in zwei Tageszeitungen erschienen war, herrschte Panik in Krei sen der regierenden Mutterlandspartei ANAP und der Regierung Özal. Erinnerungen an die Zeit vor dem Militärputsch 1980 wurden wach: Memoranden sind seit jeher in der Türkei Vorboten zum Coup dEtat der Militärs. Seit Wochen ist Irtica, das heißt die islamisch–fundamentalistische Reaktion, Hauptthema in der politischen Diskussion. Während Staatspräsident Evren in den Reden der vergangenen Wochen die islamischen Fundamentalisten zum Hauptfeind erkoren hat, versucht Özal, dessen Mutterlandspartei einen Großteil der fundamentalistischen Politkader in ihren Reihen aufgesogen hat, das Thema möglichst zu übergehen. Die Auseinandersetzungen hatten ihren Höhepunkt erreicht, nachdem Evren in einer Rede im gewohnt militärischen Befehlston erklärt hatte, Kopftuch–tragende Studentinnen hätten keinen Platz an den türkischen Universitäten. Daraufhin hatte der Hochschulrat eine Verfügung erlassen, der zufolge sich die Studenten und Studentinnen „zeitgemäß“ zu kleiden hätten. Die meisten Universitäten haben im Lauf der letzten paar Tage ein allgemeines Verbot von Kopfbedeckungen von Studentinnen innerhalb der Universität erlassen. In der gesamten Türkei kam es daraufhin zu Protestaktionen der islamischen Studenten und Studentinnen. Prüfungsboykott, Hungerstreik und Demonstrationen, die mit Polizeigewalt aufge löst werden, sind seitdem an der Tagesordnung. Einzelne Studenten wurden verhaftet. Bis zu der jüngsten Zeitungsmeldung über das Memorandum der Militärs versuchte Özal die Gemüter seiner Basis zu besänftigen. Wenn die Frauen aufgrund des Zwangs der Verhältnisse gezwungen seien, das Kopftuch abzulegen, strafe Gott nicht diejenige, die das Kopftuch ablege, sondern denjenigen, der das Kopftuchverbot verfüge, belehrte er eine protestierende Studentin. Nach den scharfen Attacken aus den Kreisen des Militärs und den Nachrichtenmeldungen über das angebliche Memorandum muß er jetzt eine Wende vollziehen. Auf der Pressekonferenz, wo er sichtlich gereizt die Existenz eines Memorandums bestritt, sprach er das erste Mal von Irtica als einer potentiellen Gefahr. Im Zuge des Dementis mußte er gleichzeitig zugeben, daß am 27. Dezember im Nationalen Sicherheitsrat, dem institutionalisierten Machtzentrum der Generäle, Hauptdiskussionsthema ein Geheimbericht über islamisch–fundamentalistische Strömungen war. Der Bericht, der jetzt veröffentlicht wurde, beschreibt, wie islamische Sekten versuchen, in den Offiziersschulen Zellen zu bilden. Das Militär in der Türkei versteht sich seit der Zeit des Staatsgründers Atatürk als Garant des Atatürkschen Erbes, das heißt der Ausrichtung der Türkei auf den Westen.