piwik no script img

Wer den Ton beseelt ... ceramica mexicana

■ Sonderausstellung im Münchner Haus der Kunst zeigt, daß das Handwerk in den archäologischen Zentren der vorklassischen Kulturen noch intensiv ausgeübt wird / Fünf Millionen Menschen leben in Mexiko vom Kunsthandwerk

Aus München Luitgard Koch

„Die ganze indianische Kultur wurde von Spaniern und Portugiesen ausgerottet“, erklärt eine junge Lehrerin aus der Münchner Büchner–Realschule ihrer quirligen Schülergruppe. Schon zum dritten Mal vermittelt sie den Schülern verschiedener Klassen Einblick in die reiche Volkskunst des heutigen Mexiko. Gemeinsam mit mexikanischen Anthropologen und Kunstsachverständigen wurde die Konzeption der Ausstellung mit dem Titel „Wer den Ton beseelt ... ceramica mexicana“ von der Dritten–Welt–Organisation „El Puente“ erarbeitet. Dabei stellte sich heraus, daß das Handwerk gerade in den Regionen noch intensiv ausgeübt wird, in denen die archäologischen Zentren der vorklassischen Kulturen, archaisch–keramische Periode, klassischen und späten Kulturen beheimatet sind. In der Form– und Farbgebung, Ornamentik und Motivwahl greifen die Künstler auf viele Gestaltungselemente der präkolumbischen Kultur zurück. Diese Elemente zu erhalten ist eines der Ziele die „El Puente“ mit dieser Ausstellung verfolgt. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, daß die vielen kleinen Familienbetriebe in Gefahr sind, sich dem nordamerikanischen Touristengeschmack anzupassen. Solche Initiativen jedoch sollen eine größere Wertschätzung dieser Keramik bewirken. In Mexiko leben derzeit 80 Millionen Menschen, von denen fünf Millionen im Kunsthand werk arbeiten. Ihre Situation ist im Moment nicht besonders rosig. Aufgrund des Erdbebens im Herbst 85 blieb der Touristenstrom aus, und durch den Ölpreisverfall läßt die Binnenkaufkraft nach. Vor einer mit schwarzem Tuch bespannten Wand sind im hinteren Teil des Raums die farbenprächtigen Lebens– und Totenbäume aufgebaut. Der Lebensbaum, „arbol de la vida“, taucht in vielen Kulturkreisen der Welt auf. Die meisten der kunstvollen mexikanischen Kerzenleuchter zeigen christliche Motive, wie etwa Adam und Eva im Paradies. Neben dem Lebensbaum existiert in Mexiko der Totenbaum. Umgeben von den gelben „flores des muertes“ lachen dem Betrachter fröhlich singende und gitarrespielende Gerippe entgegen. Leben und Tod werden in der präkolumbischen Weltanschauung nicht voneinander getrennt, sondern als Einheit begriffen. Der Tod ist nur ein Teil des unendlichen Kreislaufs. Der Totenkult in Mexiko ist sehr vielfältig und wird von Region zu Region unterschiedlich gefeiert. Der über 200 Seiten umfassende Katalog zur Ausstellung enthält neben einem geschichtlichen Überblick auch Informationen über Technik und Verfahren sowie die Arbeitsbedingungen der „artesanos“ am Beispiel ausgewählter Produktionszentren. „Raus aus dem Dritte–Welt– Ghetto“, so die Devise des Mitinitiators der Ausstellung und „El Puente“–Mitglied Richard Bruns. Durch die Verbindung der beiden Ausstellungen sieht er die Chance, auch ein anderes Publikum zu erreichen. „Da geht keiner mehr raus und sagt, die sind faul“, glaubt er. Entstanden ist der gemeinnützige Verein aus einem ökumenischen Arbeitskreis zur Entwicklungshilfe, zu dem sich vor mehr als 15 Jahren Hildesheimer Jugendliche zusammenschlossen. 1972 wurde der „Verein für Arbeits– und Sozialförderung in Entwicklungsländern El Puente“, zu deutsch die Brücke, gegründet. Entwicklungshilfe durch Handel, so das Motto. Waren, vor allem Gebrauchsgüter und kunstgewerbliche Artikel, werden aus den Entwicklungsländern unter Wegfall der Zwischenhandelsspanne eingekauft und der Verkauf an Wiederverkäufer oder Endverbraucher organisiert. Durch Ausschalten des gewinnorientierten Zwischenhandels können gerechtere Preise für die Produkte bezahlt werden. Gefördert werden mit dieser Absatzhilfe vor allem Klein– und Familienbetriebe sowie Genossenschaften. Projektpartner von „El Puente“ finden sich mittlerweile von Brasilien über Nicaragua bis Kuba und Kenia. Auch für den Absatz des mexikanischen Kunsthandwerks ist gesorgt. Parallel zur Ausstellung wurde eine Verkaufsausstellung im renommierten Münchner Kaufhaus „Beck“ organisiert. Trotzdem ist „El Puente“ auch auf Spenden für die Ausstellung, die zuvor in Hildesheim gezeigt wurde, angewiesen. Die nächste Station der beiden Ausstellungen wird im Sommer Linz sein. Auch New York möchte die einmalige Aztekenausstellung mit mehr als 350 Leihgaben aus 30 Museen und Sammlungen der ganzen Welt haben. Ende der Ausstellung in München: 3. März, Öffnungszeiten täglich 9.30 Uhr bis 18 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen