„Genetisches Gulasch“

■ Freilandversuche mit genetisch manipulierten Mikro–Organismen werden vor allem in der „Dritten Welt“ durchgeführt / Konzerne wie Ciba–Geigy wollen Soja–Bohnen, Kartoffeln und Rinder gegen ihre eigenen Pestizide resistent machen / Kontrolle kaum möglich

Die Gentechnologie hat den Rubikon überschritten: Nachdem einmal gentechnisch manipulierte Viren, Bakterien und Pflanzen in die offene Natur entlassen wurden, sind sie in der Praxis nicht mehr rückholbar. Niemand bestreitet heute ernsthaft, daß die Risiken dieser Experimente nicht verläßlich abgeschätzt werden können. Doch gerade auf ihr Nicht–Wissen berufen sich Genforscher und Unternehmen, um die Freilandversuche zu rechtfertigen: Nur im trial–and–error–Verfahren der Praxis, so sagen sie, sei e möglich, die Gefahren kennenzulernen. In einer Reihe von Staaten konnten sie sich damit schon bei den Regierungskommissionen durchsetzen, die eigentlich über die genetische Sicherheit wachen sollten.

Die Kritiker von Freiland– Versuchen und -irrtümern dagegen sind bisher eine kleine Gemeinde geblieben. Sie hält die neue Praxis für eine nicht vertretbare Grundsatzentscheidung von historischer Tragweite und warnt vor irreversiblen, möglicherweise katastrophalen Folgen für das Ökosystem unseres Planeten, die in einem „genetischen Gulasch“ und in „biologischer Verslumung“ enden werde. Bisher fand die Gentechnik fast ausschließlich in mehr oder weniger sicheren Labors statt. In der Regel bedienen sich die Forscher dabei speziell präparierter Bakterien oder Viren–Stämme, die zur Fortpflanzung nicht in der Lage sind. Doch seit Jahren drängen Wissenschaftler und Unternehmen darauf, ihre Manipulationsprodukte auch in der freien Natur testen und anwenden zu können. Ein großer Teil der Genforschung im Agrar– und Pharmabereich wäre sinnlos, Millionen fehlinvestiert, ohne diesen Durchbruch ins Freie. Den Präzedenzfall eines Freilandtests mit genetisch manipulierten Pflanzen führt derzeit die Firma Ciba–Geigy in North–Carolina, USA, durch. Den Forschern des Konzerns ist es gelungen, ein artfremdes Gen in die DNS–Struktur von Tabakpflanzen einzuschleusen. Dieses Gen produziert ein Enzym, das die Pflanzen gegen das Ciba–Pestizid Atrazin resistent macht. Die manipulierten Tabakpflanzen, die sich besonders gut für gentechnische Experimente eignen, sind allerdings nur ein Versuchs–Produkt. Die eigentliche Ziel–Pflanze für die Resistenzforscher ist die Sojabohne. Atrazin wird vor allem bei Mais eingesetzt und ist schwer abbaubar. Es gilt bei Menschen als mutagen und giftig für den Embryo, führt zu Haut– und anderen Störungen. Im Gefolge der Sandoz–Katastrophe leitete die schweizerische Ciba– Geigy unlängst zugegebenermaßen 400 kg (nach anderen Berechnungen mindestens 6.000 kg) des Pestizids in den Rhein. Die Gefahr des Gifts liegt vor allem darin, daß es ganz legal auf Maisfeldern versprüht werden soll. Sowohl in Italien als auch in der Bundesrepublik wurden in verschiedenen Trinkwasserquellen Konzentrationen weit über der nach EG–Norm zulässigen Menge gefunden. Während Ciba–Geigy sich hiermit bisher nicht befaßte, forschte die Firma seit Jahren an dem Problem, daß Soja–Bohnen, die im Wechsel mit Mais angebaut werden, gegen das Pestizid nicht resistent sind. Dies setzt der auf den Feldern versprühbaren Menge des Giftes enge Grenzen, die jetzt gentechnisch überwunden werden sollen. Sobald die resistente Sojabohne (die dann natürlich ein Patent von Ciba sein wird) entwickelt sei, heißt es in einer Presseerklärung der Firma, könne der Atrazin–Umsatz auf das Doppelte bis Dreifache gesteigert werden. Vergleichbare „Paket–Lösungen“, bei denen Pestizid und resistentes Saatgut exklu siv von ein und demselben Unternehmen angeboten werden, gelten bei den Agrar– und Chemie–Konzernen derzeit als eines der kommerziell vielversprechenden Anwendungsgebiete der Gentechnik. Leben im Labor „Es ist unmöglich, im Labor wirkliches Leben zu simulieren“, formuliert John Bedbrook, Vizepräsident der kalifornischen Gen– Klitsche „Advanced Genetic Sciences“ (AGS) das Dilemma. Das AGS–Produkt „Ice–Minus“, eine Abwandlung der Allerweltsbakterie „Pseudonomas Syringae“, ist in den USA zum Symbol geworden für den Streit um die Freisetzung, den die Gen–Industrie mit wechselhafter Unterstützung der Washingtoner Administration gegen die kleine Organisation „Foundation on Economic Trends“ von Jeremy Rifkin führt, der sich jedoch bisher noch jedesmal vor Gericht durchsetzen konnte. Bereits 1981 hatte der Berkely– Professor Steve Lindow einen künstlichen P–Syringae–Stamm entwickelt, bei dem er ein Gen entfernt hatte, das für die Produktion eines Proteins verantwortlich ist, das Eis im Bereich von 0 bis 5 Grad kristallisieren läßt. Sprüht man „Ice–Minus“ auf Erdbeeren oder Kartoffeln, verdrängt es die natürlichen P–Syringae–Stämme und schützt so die Pflanze vor Frostschäden. 1983 untersagte das Bundesgericht Washington seine Freisetzung, da sie gegen die Richtlinien für staatlich geförderte Forschung verstoße. Daraufhin wurde das Experiment erneut beantragt - diesmal von einer Privatfirma - und von der Umweltbehörde EPA prompt genehmigt. Eine Bürgerinitiative, die den geheimgehaltenen Testort enthüllte, brachte die lokalen Autoritäten dazu, den Versuch zu unterbinden. Als auch noch ruchbar wurde, daß AGS bereits ohne Genehmigung Tests auf dem Dachgarten des Unternehmens durchgeführt und Testdaten gefälscht hatte, zog die EP die Genehmigung zurück und verhängte eine Strafe von 20.000 Dollar. Doch dann genehmigte sie, diesmal wieder der Universität von Kalifornien, das gleiche Experiment an Kartoffelpflanzen. Wieder zog Rifkin vor Gericht, und wieder bildete sich eine Bürgerinitiative von Farmern aus der Nachbarschaft des Testgeländes, die um den guten Ruf ihrer Kartoffeln bangten. Die Uni mußte das Vorhaben schließlich fürs erste aufgeben, da sie keine Versicherung für das Experiment finden konnte. Den kommerziellen Risiko–Kalkulatoren schien im Gegensatz zur staatlichen Umweltbehörde der Deal zu heiß. Mit derartigen Widrigkeiten mußten sich die Forscher des Wistar–Institute aus Philadelphia zunächst nicht herumschlagen. Ihren gentechnisch hergestellten Impfstoff gegen Rindertollwut te stete eine Forschungsstation der PAHO, der pan–amerikanischen Sektion der Weltgesundheitsorganisation WHO in Argentinien. 20 Rinder wurden mit dem Virus infiziert. Weder die argentinischen noch die US–amerikanischen Behörden wurden von dem Institut informiert. Nicht einmal den Arbeitern, die die Tiere betreuten, sagten die Wissenschaftler etwas über den Charakter des Test. Selbst die Milch der infizierten Kühe ließ man sie weiter trinken. Nur durch Zufall erfuhr die argentinische Regierung von dem Experiment und stoppte es daraufhin wegen seines „unethischen Charakters“. Die Kühe wurden geschlachtet. Auf empörte Nachfragen zog sich das Wistar Institute auf den formell durchaus korrekten Standpunkt zurück, es sei nach US–Recht zur Ankündigung von Experimenten im Ausland nicht verpflichtet. Das argentinische Recht schreibe eine Meldepflicht ohnehin nicht vor, da dort bisher überhaupt keine Regulierungen für gentechnische Experimente existieren. Der Test sei im übrigen bis zu seinem Abbruch erfolgreich verlaufen: Die infizierten Tiere hätten die erwünschten Antikörper gegen Tollwut produziert, die unbehandelten Rinder dagegen nicht. Der gentechnische Trick, den Wistar–Professor Kaprowsky und sein Team dabei erstmals testeten, soll der erste einer ganzen Generation gentechnisch hergestellter Impfstoffe sein: Einem Vaccinia–Virus wird ein Gen „eingeschleust“, das das Protein produziert, an dem das Immunsystem normalerweise den Tollwut– Virus erkennt. Mit dem gleichen Trick arbeitet auch ein Forscherteam der Universität von Oregon, das einen Impfstoff gegen eine Grippeart bei Kälbern, Hühnern und Schafen entwickelt hatte. Die Test–Flucht ins Ausland traten sie ganz öffentlich an: „komplizierte, unklare und unangemessen langsame Zulassungsverfahren“ in den USA hätten sie dazu bewogen, das Freisetzungsexperiment in Neuseeland zu beantragen und durchzuführen. Besonders pikant an diesem Vorgehen ist, daß sie dabei sogar vom US–Landwirtschaftsministerium gefördert wurden. Auch der Hauptverantwortliche für die Entwicklung von Freisetzungs–Richtlinien in der US–Administration reagierte nicht mit Empörung. Die Flucht ins Ausland belege, daß die von Präsident Reagan im Juni vergangenen Jahres unterschriebenen, von den zuständigen Behörden allerdings nicht anerkannten Richtlinien nicht etwa zu leichtfertig seien, wie Kritiker behaupteten, sondern offensichtlich zu streng. Die Frage, wieviele Freisetzungsversuche möglicherweise gerade in Ländern der Dritten Welt durchgeführt werden, ohne je öffentlich zu werden, drängt sich auf. Fest steht, daß eine effektive Kontrolle praktisch unmöglich ist. Über einen in jeder Hinsicht alarmierenden Fall in diesem Zusammenhang berichtete der New Scientist in seiner letzten Ausgabe. Ein Forscherteam um Daniel Zagury von der Universität Paris testeten Ende letzten Jahres in Zaire einen rekombinierten Vi rus, in den Oberflächenkomponenten des Aids–Virus eingeschleust worden waren. Sie hoffen, damit einen Weg zu finden, um den Ausbruch der Krankheit bei bereits infizierten Patienten zu verhindern. Sicherheits–Tests seien zuvor nicht durchgeführt worden, war von der WHO in Genf zu erfahren. „Wir hatten gehofft, internationale Grundsätze für Aids–Tests festlegen zu können, bevor derartige Experimente durchgeführt werden“, erklärte der Leiter des Aids–Forschungsprogrammes bei der Weltgesundheitsorganisation bedauernd. Sowohl französische als auch zairische Regierungsvertreter bestritten jegliche Kenntnis von dem Experiment gehabt zu haben. Mittlerweile hat der erste Freisetzungsversuch auch in Europa stattgefunden. Der Oxford–Professor David Bishop gab nach vollzogenem Experiment bekannt, daß er gentechnisch manipulierte Baculo–Viren, die er gegen die Raupen verschiedener Mottenarten einsetzen will, zunächst in einem Kohlfeld an geheimem Ort in Großbritannien freigesetzt habe, um ihre Fortpflanzungseigenschaften in der freien Natur zu untersuchen. Die Raupen schädigen vor allen Dingen schottische Kiefernwälder. Da ihre natürlichen Feinde nicht effektiv genug seien, wolle er einem Virenstamm einerseits ein besonderes Toxin gegen die Raupen, andererseits einen Selbstzerstörungsmechanismus, der unerwünschte Verbreitung der Gift–Viren unterbinden soll, gentechnisch einbauen. Bishops Viren, die zu Testzwecken zunächst nur mit einem „nonsense gene“, wie sich der Forscher ausdrückte, verändert wurden, sollen in Großbritannien den Präzendenz–Fall für weitere Freisetzungen abgeben. Das zuständige Beratungs–Komitee für genetische Manipulation genehmigte das Experiment, um daran Schritt für Schritt mögliche Risiken und notwendige Sicherheitsbestimmungen zu erkennen. Auf die Frage, weshalb er dann das Testgelände geheim halte, antwortete Bishop: „Wir wollten nicht, daß Vorurteile unsere wissenschaftlichen Daten beeinflussen und irgendwelche inquisitorischen Leute unsere Versuche stören“. Gesetze zur Regulierung von Gen–Tests, sagte er weiter, halte er ohnehin für wenig hilfreich. Richtlinien auf freiwilliger Basis ziehe er vor, „weil scharfe Bestimmungen ohnehin nur dazu führen, daß sie nicht beachtet werden“.