Lummer droht mit bundesweiter CSU

■ CDU und CSU schieben sich gegenseitig die Schuld an der Wahlschlappe zu / Geißler: „Echt verärgert über Strauß“ / Lummer warnt vor Linksruck der CDU / CSU bekräftigt bundesweiten Anspruch

Von Benedict M. Mülder

Bonn/Berlin (taz) - Bevor die neuen Fraktionen von CDU und CSU gestern zu ihrer ersten Sitzung nach den Wahlen zusammentrafen, wiesen sich ihre Repräsentanten mit ungewöhnlicher Schärfe gegenseitig die Schuld für die Schlappe vom Sonntag zu. CDU–Generalsekretär Geißler zeigte sich „wahnsinnig gestört“ von CSU– Chef Strauß und warf ihm vor, im Wahlkampf „klassische Eigentore und schwere Fehler“ gemacht zu haben. Dazu gehörten der Streit über die Entspannungspolitik und die Vorhersage, die „Sache sei schon gelaufen“. Der CDU–Landesvorsitzende von NRW, Biedenkopf schloß sich dieser Kritik an. Während CDU–Fraktionschef Dregger von derartigen „Schuldzuweisungen“ nichts hielt, konterte Strauß Kritik: „Legenden werden immer gebildet. Bedenklich an ihnen ist, wenn man nicht die Einsicht hat, die eigentlichen Gründe des Rückschlages zu erkennen.“ Der Streit um „Sündenböcke“ erhielt unterdessen in Bonn durch das Bekanntwerden eines siebenseitigen Strategiepapieres (“Rechte Versuchung oder richtiger Weg - von den Schwie rigkeiten einer Volkspartei“) des frischgebackenen Berliner CDU– Bundestagsabgeordneten Lummer eine weitere Dimension. Lummer deutet darin die Gründung einer neuen Partei rechts von der CDU an. In dem vor der Wahl verfaßten Papier schreibt Lummer: „Die Entwicklung der CDU ist nach Regierungsübernahme eher von einer Verschiebung nach links gekennzeichnet, während die Entwicklung bei den Wählern nach rechts verläuft. Entweder gelingt die Integration der konservativen Wähler in die CDU, oder es formiert sich eine neue Partei.“ Lummer, der 1986 als Berliner Innensenator über von ihm geleistete Geldzahlungen an Rechtsradikale Anfang der 70er Jahre stürzte, ortet Verdruß unter den rechtslastigen CDU–Wählern. Wegen „Laschheit“ in Fragen der Ausländer– und Sicherheitspolitik, wählten viele die CDU nur noch „zähneknirschend als kleineres Übel“. Wolle man dies zukünftig verhindern, müsse man personalpolitisch, programmatisch und praktisch mehr Rücksicht auf diese Wähler nehmen. „Das erscheint mir nach wie vor als lösbar“, bremst Lummer aber etwaige vorschnelle Parteigründer, noch sei „den Integrationsbemühungen der Vorzug zu geben“. Gleichwohl will er einer Neugründung die „Erfolgschancen nicht absprechen, wenn sie unter den richtigen personellen Voraussetzungen erfolgt“. Fortsetzung auf Seite 2 E I N S A M K E I T Ein Regenwurm war schlechter Dinge, vor Einsamkeit hat er geweint. Er sprang über eine Rasierklinge, da hatte er einen Freund. Ingo Insterburg Einer der wichtigen rechtskonservativen Vordenker und Strauß– Freund, Prof. Günther Rohrmoser, seit langem Kritiker der „inkonsequenten Wende“, hat aus seinen Sympathien für eine CSU „außerhalb Bayerns“ im Gespräch mit der taz (siehe Seite 5) gestern kein Hehl gemacht. „Das vernünftigste wäre“, meinte Rohrmoser, „wenn die CSU die Chance bekäme, das Potential der Unzufriedenen in vernünftiger Absprache mit der CDU zu integrieren.“ Vor Beginn der gestrigen Sitzung der CSU–Landesgruppe, an der Strauß als Bundestagsabgeordneter teilnahm, bekräftigte deren Chef Waigel die „bundesweite Verantwortung wie den bundesweiten Anspruch der CSU“. Beobachter glauben, daß sich Teile der CDU–Stahlhelmfraktion durch die Veröffentlichung der Lummer–Thesen mehr Einfluß auf die Koalitionsverhandlungen versprechen. Kann man sich nicht durchsetzen, so das Kalkül, will man schon in den nächsten Monaten in Vorbereitung der Landtagswahlen die „Kräfte sammeln“. Kontakte zu den bayerischen Republikanern sollen bereits bestehen. Auftrieb erhofft man sich von Geißlers „Themenbesetzungen“ durch eine neue CDU–Politik. Der forderte gestern „echte gesetzgeberische Kompetenzen“ für das Frauenministerium sowie Fortschritte im Umwelt– und Naturschutz. Wichtig sei eine Politik, so der Generalsekretär, „die die Union für Randbereiche der Grünen attraktiv“ mache. Demgegenüber glaubte Umweltminister Wallmann gestern, daß gerade die „Verbindung der SPD mit den Grünen ihren Niedergang einleitete“. Mit einer „Koalition der Mitte“ will er im Herbst in Hessen den Wechsel herbeiführen. Das Bundestagswahlergebnis sei nämlich eine eindeutige Absage der Wähler an alle grün–roten Konstellationen.