: Giscards delikate Karrierepläne
■ Der französische Ex–Präsident regt Amt eines Europa–Vorsitzenden für „Leute wie mich“ an / Popularitätsoffensive auf Kosten seiner Freunde im konservativen Regierungsbündnis
Aus Paris Georg Blume
Selbst in der französischen Rechten galt Valery Giscard dEstaing als marginale Gestalt angesichts der Konkurrenz seiner ehemaligen Premierminister Jacques Chirac und Raymond Barre. Mit diesem Image räumte der Ex–Präsident am Mittwoch abend auf und ging in eine Offensive, die ihn in nicht allzu langer Zeit zu unser aller Präsidenten machen könnte. Zunächst verkündete Giscard seinen Ausstieg aus dem Ren nen um die französischen Präsidentschaftswahlen 1988: „Ich bin nicht Kandidat für den Elyseepalast.“ Ein aufgrund seiner mangelnden Popularität sicher nicht überraschender Rückzug, der ihn des Verdachts rein persönlicher Ambitionen enthebt. Damit grenzt er sich gegenüber Chirac und Barre ab und gewinnt neue politische Glaubwürdigkeit. Mit einer anderen Initiative erhofft sich Giscard einen weiteren Popularitätszuwachs: Er schlägt ein Volksreferendum zur Verkürzung der Amtszeit des französischen Präsidenten von heute sieben auf fünf Jahre - der Dauer einer Legislaturperiode - vor. Der Sprecher der Regierung äußerte sich dazu zurückhaltend. Alle Umfragen sehen eine große Mehrheit unter den Franzosen, die sich für eine solche Mandatsverkürzung aussprechen würden - unter ihnen auch Franois Mitterrand. Mit seinem Vorschlag bringt Giscard jedoch erneut Chirac und Barre in Verlegenheit. Für den Führer des neogaullistischen Koalitionspartners Chirac (RPR) droht das Referendum zu einem Votum gegen seine Regierung umzukippen. Dem derzeit beliebtesten Politiker im bürgerlichen Lager und Wirtschaftsprofessor Barre (UDF) droht als Gegner der Mandatsverkürzung ebenfalls die Wahlschlappe. Das Referendum kurze Zeit vor den Präsidentschaftswahlen könnte die französische Rechte spalten. Giscard indes hegt als nunmehr vom politischen Tagesgeschehen unberührte Person andere große Pläne. Einen Präsidenten Europas will er 1995 vom europäischen Volk wählen lassen und sieht als mögliche Kandidaten für dieses Amt „Leute wie mich“. Einem der Gäste im Pariser Fernsehstudio schien das zu gefallen: Helmut Schmidt klatschte eifrig Beifall.
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