Wenn die WAZ ruft, geht der WDR bis Canossa

■ Drei Chefs des Westdeutschen Rundfunks sollen heute zum Bußgang bei der größten Abonnement–Zeitung der Republik erscheinen / Anlaß war die unbotmäßige Berichterstattung über den geschlossenen Rücktritt des WAZ–Betriebsrates

Von Jakob Sonnenschein

Düsseldorf (taz) - Eine hochkarätig besetzte WDR–Delegation wird heute in der Konzernzentrale der Essener WAZ–Gruppe zum „Bußgang“ erwartet. Was niemand sonst schafft, die größte Abonnementzeitung der BRD, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) macht es möglich. Gleich drei Chefs sollen vorfahren - WDR–Chefredakteur Claus Hinrich Casdorff und die Dortmunder WDR–Chefs Rolf Buttler und Hans Joachim Nolte -, weil der WAZ ein Filmbeitrag sauer aufgestoßen ist, der am 29.1. über den Kölner Sender ging. In dem Bericht des WDR–Autors Norbert Kranenburg wird über den Rücktritt des gesamten Verlagsbetriebsrates informiert, der mit diesem Schritt seiner geräuschlosen Zerschlagung durch die WAZ– Geschäftsführung zuvorkam. Die Geschäftsführer der auf etwa 1,2 Milliarden DM Jahresumsatz geschätzten WAZ–Gruppe, die Herren Grotkamp und Schumann, die mittels einer „Umstrukturierung“ gleich acht von 19 Betriebsräten aus dem Vertretungsorgan hinauskickten, hätten nur zu gern über diesen Coup den Schleier des Schweigens gelegt. Am Ende vermochten die Vorab–Proteste der WAZ–Gewaltigen - so intervenierte Schumann am 27.1. beim WDR–Chefredakteur Claus Hinrich Casdorff - die Ausstrahlung am 29.1. zwar nicht zu verhindern, sie bescherten der WAZ aber eine Sonderbehandlung durch den WDR, von der gewöhnliche Sterbliche nur träumen. Um der WAZ zu gefallen, setzte der WDR sich selbst über sonst geheiligte journalistische Grundsätze hinweg. Einer davon lautet: Sorge dafür, daß nicht gesendetes Material außerhalb der Redaktion niemandem in die Finger gerät. Daß dieser Grundsatz auf WAZ–Geschäftsführer offenbar keine Anwendung findet, geht aus einem Brief des Dortmunder WDR– Fernsehchefs Hans Joachim Nolte an Intendant Friedrich Nowottny hervor. Fünf Tage lang hatte sich der WDR schon vergeblich um ein Interview mit Grotkamp bemüht. Dann, so heißt es in dem Brief, am „28.1.87 Anruf bei Herrn Grotkamp. Herr Grotkamp lehnt Interview ab. Wir bieten an: Vorspielen der Aussagen der Betriebsräte im Büro von Herrn Grotkamp. Herr Grotkamp lehnt Interview grundsätzlich ab.“ In einem Brief, datiert vom 30.1., an die Intendanz schreibt der verantwortliche Kölner Redakteur von „Hier und Heute“, Bernd Klütsch: „Dieses Stück (gemeint ist der WAZ– Beitrag, d. Red.) stand meines Wissens schon drei– oder viermal auf dem Programm, wurde aber von den Dortmundern immer wieder verschoben, da die Stellungnahme der WAZ–Geschäftsleitung noch ausstehe. In dieser Woche sollte es zunächst am Dienstag gesendet werden - jedoch erneut Fehlanzeige, denn die Stellungnahme des WAZ–Konzerns fehlte wiederum.“ Dabei lassen die Dortmunder nichts unversucht. In dem Nolte–Brief an Nowottny heißt es weiter: „Per Tele fax übermitteln wir, weil Herr Grotkamp eine schriftliche Stellungnahme bis zum 29.1.87, 12 Uhr, zusagt, die Aussagen der Betriebsräte an Herrn Grotkamp... Donnerstag, 29.1.87, 11 Uhr, Anruf von Herrn Grotkamp, er sei nicht bereit, zu Meinungsäußerungen Stellung zu nehmen.“ Spielverderber: Grotkamp verweigert die Gegenleistung für etwas, was er nie hätte bekommen dürfen. Daraufhin entschließt sich die Dortmunder WDR–Crew, den Beitrag auch ohne WAZ–Stellungnahme zu bringen. Kurz vor Sendebeginn, um 17.30 Uhr, kommt dann doch noch das Statement. Die zwei Kernsätze werden ausgestrahlt. Wie erklärt sich das devote Verhalten des WDR? Sicher ist: Die Dienstbarkeit gegenüber der WAZ ist mit mangelnder journalistischer Qualität des ausgestrahlten Beitrages nicht zu begründen. Warum dann der „Bußgang“? Weil der WDR–Fernsehdirektor Günter Struve zuvor auf der WAZ–Chefetage gedient hat? Oder sind es ökonomische Interessen, die nach dem Vordringen der WAZ in den elektronischen Medienbereich eine „Goodwill– Tour“ nach Essen ratsam erscheinen ließen? Ausgangspunkt des WDR–Beitrages war ein offener Brief des WAZ–Verlagsbetriebsrates. In diesem Brief vom 5.1. nahm der Betriebsrat zu einer Umsetzungsaktion von 367 Mitarbeitern Stellung, äußerte die Vermutung, daß dahinter andere als „organisatorische Gründe“ steckten und teilte zugleich seinen Rücktritt mit. Die Umsetzungsliste war in der Tat aufschlußreich. Von den 19 Betriebsräten fanden sich gleich 8 auf der Liste - die aktivsten der IG Druck und Papier. An ihrer Stelle wären Leute nachgerückt, die, so hieß es in Gewerkschaftskreisen, für eine verlegerfreundliche Mehrheit gesorgt hätten. Um dem zuvorzukommen, trat der Betriebsrat, der in den letzten Jahren mit Grotkamp und Schumann so manchen Strauß vor dem Essener Arbeitsgericht ausfocht, zurück.