I N T E R V I E W „Unheimlich traurig und wütend“

■ Peter Sieglar erfuhr vor 18 Monaten, daß er AIDS hat. Er stellte sich der Öffentlichkeit durch einen Fernsehfilm (“Noch leb ich ja“), in dem er über seine Situation berichtete.

taz: Wie geht es dir, Peter? Peter: Die Werte der Bluttests waren zwar nicht gut, aber ich merke, daß ich viel Energie aus einer Wut heraus bekomme, wenn ich z.B. Schlagwörter wie „Seuchenträger“ lese, ohne daß jemals ein Betroffener einbezogen wird. Du reist zur Zeit durch die Bundesrepublik und trittst in den verschiedenen Städten auf Veranstaltungen zum Thema AIDS auf. Der Film „Noch leb ich ja“ ist im Fernsehen ausgestrahlt worden. Wie fühlt man sich, bösartig ausgedrückt, als „AIDS–Prominenz?“ Es ist eine Gratwanderung zwischen Aufklären und Ausgenutztwerden. Aber solange es passiert, daß Leute, die um ihr Leben kämpfen, als „Seuchenträger“ bezeichnet werden und über Zwangsmaßnahmen und Meldepflicht diskutiert wird, da kann ich gar nicht genug Interviews geben. Wenn du Forderungen vom Zwangstest bis zur Internierung von AIDS–Infizierten hörst, wie reagierst du? Ich werde unheimlich traurig und wütend. Es erinnert mich total an den Faschismus. Wird AIDS aus deiner Sicht zu einer Waffe gegen Minderheiten gemacht? Ja. In der BRD sind das natürlich die Fixer, die Prostituierten und die Schwulen. Da haben wir alle gleich zusammen, da werden ein paar Gesetze gemacht und alles ist fest im Griff. Wenn man das zu Ende denkt, steckt dahinter auch der Begriff „Ausschalten“. Was glaubst du, wird in den nächsten Jahren in der Gesellschaft passieren, wenn man davon ausgeht, daß sich AIDS weiter ausbreitet? In diesem Land werden die rechten Kräfte das benutzen und das machen sie bereits kräftig. Hier will man den Gesunden schützen und dem Kranken seine eigene Verantwortung wegnehmen. Vom Sexuellen her ist es schwierig. Wir sind ja alle durch eine sexuelle Revolution durchgegangen und haben uns gewisser Zwänge entledigt. Und jetzt kommen diese Zwänge wieder. Man muß sehen, daß man diesen Zwängen nicht unterliegt. Ist es nicht so, daß sich die meisten im Fahrwasser der Diskussionen wieder voll auf die Zweierbeziehungen stürzen? Ich hoffe, daß Leute sagen werden, „Ich weiß, wie sich die Krankheit überträgt“, die ihre Kondome in der Tasche haben, und die das überhaupt nicht daran hindert, „safe sex“ mit fünf oder zehn Partnern zu machen. Nun gibt es ja das Motto der Gesundheitsministerin Süssmuth. AIDS, die gefährlichste Krankheit, aber auch die, die am leichtesten zu verhindern ist. Man kann sich heute anstecken, aber das kommt erst in fünf Jahren heraus. Die Leute, die heute AIDS kriegen, sind schon vor Jahren angesteckt worden. Und das heißt, bei allem, was man jetzt verändert, wird man erst in sechs oder sieben Jahren beurteilen können, ob es etwas genutzt hat. Das Gespräch führten Wolfgang Gast und Jürgen Staiger