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Prozeß gegen Abdallah beginnt heute in Paris

■ Der mutmaßliche Chef der Revolutionären Libanesischen Armeefraktion (FARL) Abdallah sollte mit der Attentatsserie im September 1985 freigepreßt werden / Anklage wegen Beteiligung an FARL–Anschlägen / Erhebliche Sicherheitsvorkehrungen

Aus Paris Georg Blume

3.500 Polizisten in Alarmbereitschaft in der Hauptstadt, Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land und sieben Richter unter Sonderbewachung: Ein einziger Mann steht derzeit in Frankreich im Mittelpunkt von alltäglichen Cafe–Gesprächen und amtlicher Sicherheitshysterie. Georges Ibrahim Abdallah, mutmaßlicher Chef der Revolutionären Libanesischen Armeefraktion (FARL), erscheint heute nachmittag zur Eröffnung seines Prozesses vor dem Schwurgericht im Pariser Justizpalast. Jeder Franzose kennt Georges Abdallah seit den Pariser Attenta ten im September letzten Jahres. Mit in Kaufhäusern, U–Bahnstationen und anderen öffentlichen Plätzen wahllos plazierten Bomben, die mehrere Todesopfer forderten, versetzte das „Solidaritätskomitee für die arabischen politischen Gefangenen“ (CSPPA) innerhalb weniger Tage das ganze Land in einen Schockzustand. Das CSPPA forderte die Freilassung von drei in Frankreich inhaftierten arabischen Gefangenen, darunter die Schlüsselfigur Georges Abdallah. Nicht umsonst, so schien es, nahmen die Attentate nach dem Anschlag am 17. September 1986 in der Rue de Rennes, bei dem fünf Menschen ermordet wurden, ein abruptes Ende: Justizminister Chalandon versprach eine „schnelle Regelung des Falls Abdallah“ und kündigte den heutigen Prozeß an. Der Justizfall Abdallah beschäftigt heute nicht zum ersten Mal Richter und Politiker. Bereits im März 1985 - einige Monate nach der Festnahme Abdallahs in Lyon - verhandelten der französische und algerische Geheimdienst erfolglos die Freilassung Abdallahs im Austausch gegen französische Geiseln im Libanon. Ein Lyoner Gericht verurteilte Abdallah im Juli 1986 zu lediglich vier Jahren Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Die Anklage wegen der Beteiligung an den zwei tödlichen Attentaten der FARL, denen 1982 US– Militärattache Ray und der israelische Botschaftssekretär Barsimentov zum Opfer fielen, wird im Lyoner Richterspruch nicht erwähnt. Sie soll jetzt vor dem Pariser Schwurgericht verhandelt werden, doch sagten die meisten Beobachter eine Einstellung des Verfahrens mangels Beweisen und eine rasche Begnadigung des Angeklagten voraus. Das Erscheinen der Vereinigten Staaten als Nebenkläger im Abdallahprozeß und die darauffolgenden Attentate im September gaben den Ereignissen jedoch ihren aktuellen Verlauf. Abdallah–Verteidiger Jacques Verges prophezeit nun einen politischen Prozeß. In seiner im voraus veröffentlichten Stellungnahme, die Abdallah heute nachmittag vor den Richtern verlesen will, streitet er eine Beteiligung an den ihm vorgeworfenen Anschlägen ab. Er verspricht: „Entweder wird es Frieden für unser gesamtes arabisches Volk geben, oder es wird für niemanden und nirgendwo Frieden geben.“ Die französische Regierung kündigte am Wochenende eine unbegrenzte Verlängerung der Visumspflicht für alle Ausländer an, die nicht Mitglied der EG sind. Die Visumspflicht wurde nach den Attentaten im September verhängt.

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