Neue Schule

Ich sah ein Kind mit ner Kamera, und mir kam Warhol in den Sinn: „Jeder für zehn Minuten ein Star!“ Hört man das, so roh, als Spruch - „Jeder einmal zehn Minuten berühmt“ - denkt man: Nix Neues. Überfall ich ne Sparkasse, hau ner alten Frau auf den Kopf - und bin berühmt. Mach ne BaaderMeinhofGruppe auf und bin berühmt, mach auf Guru, bin berühmt... Doch dies alles sollte der Satz eigentlich ausschließen. Denn Warhol hat ihn gesagt, weil er der perfekte Übergangskünstler ist und die Industrialisierung der schönsten Dinge, die die Welt zu bieten hat, anstrebt. Ein solches Ding ist „Prominenz“. Warhol will mit seinem Satz Prominenz industrialisieren. Wie kommen wir nun auf der Erde praktisch zu dem Schlußeffekt, jeden Menschen für zehn Minuten berühmt zu machen? - Weil es der ureigenste, angestammte Beruf des Menschen ist, berühmt, bekannt, prominent zu sein. Da liegen urige Arbeitsplätze rum. Für alle. Darf ich einmal - nur für den Moment - die Welt faschistisch/ elektronisch organisieren? (...) Die Hauptsache ist, mit 14 Kamera und Ton perfekt zu beherrschen, denn dann müssen sie, quasi zur Konfirmation, ihren Film bei ihrem örtlichen Konfirmations–Kanal abgeben. Jedes Kind der Welt liefert mit 14 seinen selbstgemachten Film ab und zeigt, wie es (das Kind) die Welt sieht. Und was es gelernt hat. Den ganzen Tag laufen Konfirmations–Filme auf diesem Kanal 14 und jeder (aber auch jede) präsentiert mit 14 sein Lebenswerk. (...) Wolfgang Neuss aus: „Der gesunde Menschenverstand ist reines Gift“, München 1985