Warhol: „Es ist

■ Der blasse Pop–Prinz mit der platingrauen Perücke

Andy Warhol ist tot. Sein wahres Alter bleibt sein Geheimnis. Todesursache: Herzinfarkt im Schlaf nach einer problemlosen Gallensteinoperation. Schon einmal war er dem Tod sehr nahe. 1968 wude er von der radikalen Feministin Valerie Solanas angeschossen. In „America“ schildert er seine Gedanken zwischen Leben und Tod. Wolfgang Neuss spinnt Gedanken um einen Spruch von Warhol: „Jeder für Minuten ein Star“. Sabine Vogel und Helmut Höge beschreiben Warhol in der Welt der Medien.

Am Sonntag um 6.30 Uhr (Ortszeit) wurde Andy Warhol für tot erklärt, nachdem Wiederbelebungsversuche scheiterten. Um 18.30 kommt die erste Telex–Meldung (von AP): „Gallionsfigur der Pop–Art starb nach Operation an Herzversagen. Redaktionen: Sie erhalten umgehend einen Nachruf.“ „Sie holten mich von den Toten zurück - im wahrsten Sinne des Wortes, weil, wie man mir später sagte, ich tatsächlich einmal schon klinisch tot war. Endlose Tage danach war ich mir immer noch nicht sicher, ob ich wirklich zurück bin. So ist es also, wenn man tot ist - du denkst, du bist am Leben, aber du bist tot.“ Andy Warhol: „POPism, The Warhol 60s“, New York 1980, im Kapitel über das Attentat von Valerie Solanas auf ihn - 1968. Die Aktuellen–Redaktion verteilt die eingehenden Nachrichten an die zuständigen Ressorts. Wegen der Berlinale sind an diesem Sonntag abend alle Kultur–Redakteure, bis auf zwei, unterwegs. Sie haben wenig Lust, einen schnellen 100–Zeilen–Nachruf zu schreiben. Ihnen wird bedeutet, daß man eine Tagesthemen–Seite aus Warhols Tod machen könnte, eventuell sogar zwei. „Am Dienstag ist wenig los.“ Das war beim ersten Scheintod Warhols anders: am selben Tag war Bobby Kennedy erschossen worden. Entsetzt kamen die „Factory“–Leute und andere New Yorker Künstler im „Max“ zusammen. „Robert Rauschenberg ließ sich auf den Boden fallen und schluchzte: Ist dies das Medium?“ (Andy Warhol, a.a.O.) Um 19.20 Uhr kommen die ersten Porträts über die Ticker. „Warhol, einer der einflußreichsten Beweger der Kunstszene, errang zu Beginn der 60er Jahre erste Berühmtheit mit der Wiedergabe von Gegenständen der Alltagskultur, etwa Suppendosen, und mit Serienportraits Marilyn Monroes und Elvis Presleys. Er hat seinen eigenen Lebensstil zum Kunstwerk gemacht, würdigte Richard Oldenburg, Direktor des New Yorker Museums für moderne Kunst, den Verstorbenen.“ (AP) Wie üblich hinkt dpa wieder mal eine Stunde hinter den anderen her, bemerkt der Aktuellen–Redakteur. „USA/Warhol (Eil) Tod eins /Andy Warhol gestorben / Folgt Tod zwei“.(dpa) Die Nach richt ist mittlerweile von Radio und Fernsehen verbreitet worden. Zwei Mitarbeiter rufen in der Zeitung an: „Da müssen wir was draus machen.“ Wegen des Zeitdrucks (bis Montag 14 Uhr müssen die Tagesthemen–Seiten stehen) verabredet man sich um 22 Uhr im Presse–Cafe am Zoo, um das bis dahin beschaffte Material zu sichten. „Daß dieses Nachdenken überhaupt von einem Produkt ausgelöst wird, das alles verneint, was es als Produkt je sein wollte und war, ist nur eine andere Marginalie der Nachrichten von diesem Produkt...Die andere Marginalie der Nachrichten als memento mori?“ (Heiner Bastian über Andy Warhol in der „Sammlung Marx“, Katalog der Nationalgalerie Berlin, 1982) Alles was Warhol herstellte, kennt kein Subjekt. Denn was er verarbeitete sind Dinge, die in ihrer Wiederholung keinen Ursprung mehr haben. Seine vergegenständlichte Botschaft lautet: Es ist nichts dahinter. Die berühmten Campbell–Dosen und Geldscheine stellte er 1961 im Siebdruckverfahren her nach der Auf forderung eines Kunsthändlers, das zu malen, was ihm am meisten bedeute. Erstere erbrachten 1962 auf einer Auktion bereits 60.000 Dollar. Es folgen Mitte der Sechziger Jahre weitere Serienbilder von Berühmtheiten. Daneben Unfallphotos aus der Presse, ganze Tageszeitungs–Seiten, die er dadurch zu „sozialen Ikonen“ stilisiert. Genau sechs Jahre nach der Schlagzeile vom 4.Juni 1962 „129 starben beim Absturz eines Jet“, die er als Siebdruck–Vorlage benutzt hatte, passierte ihm das selbe. „Ich war die Schlagzeile in der New York Daily News Schauspielerin schießt auf Andy Warhol.“ Und heute ist die Schlagzeile „Andy Warhol gestorben“ nur noch ein alter Warhol. „War hole“ singt David Bowie. Im „Zeitgeist“–Katalog findet sich die schöne Anmerkung: „1957 Art Directors Club Medal für Schuhanzeige. Nach Italien– Besuch vollständige Hinwendung zur Kunst.“ Sein Cover für die Rolling Stones Platte „Sticky Fingers“ diente 1967 einer deutschen „Kritik der Warenästhetik“ als Schulbeispiel. „Der Käufer hat die Möglichkeit mitgekauft, die Verpackung zu öffnen, den Reißverschluß aufzuziehen, und er findet dahinter - nichts.“(W.F. Haug) Dasselbe Nichts, das hier noch Haug um Irgendetwas betrog, ist in Warhols Filmen ganz unverpackt Thema: In dem Film „Sleep“ beispielsweise wird sechs Stunden lang aus einer Position heraus ein schlafender Mann gezeigt - sonst nichts. Für diesen „Undergroundfilm“ sowie für „Eat“, „Kiss“, „Haircut“ u.a. bekam Warhol den „Independent Film Award of Film Culture“ - mit der Begründung, daß sie die Welt „transponierten, intensivierten und elektrifizierten“. An „Flesh“ und „Tresh“, die zu Publikumserfolgen wurden, wirkte die gesamte Belegschaft seiner 1963 gegründeten „Factory“ mit, in der alle echten Warhols produziert wurden. „Ich fände es großartig, wenn mehr Leute Siebdrucke herstellen würden, so daß keiner mehr wüßte, ob mein Bild das Bild eines anderen ist...ich stelle mir vor, daß jedermann gleich denkt. Einer sieht aus wie der andere, und wir machen ja immer mehr Fortschritte in dieser Richtung.“ Konsequenterweise signiert er Ende der Sechziger Jahre Warhol–Imitate der Düsseldorfer Gruppe „Exit“. Die Kopie wird zum Original und die Persönlichkeit, die Identität ist als Klischee in Serie gegangen. „Der kleine Andy soll - nach angeblich häufigen Nervenzusammenbrüchen - oft wochenlang mit Malbüchern im Bett gelegen haben.“(AP–Porträt) Einen Moment lang überlegt man, diesen Satz als Schlagzeile zu nehmen. Der rührende Versuch, das „Markenzeichen“ Warhol zu repersonalisieren, begründet die Ausführlichkeit, mit der sich die Presseagenturen über die fehlenden Geburtsdaten des Künstlers auslassen. Hartnäckig wird am Wunsch nach dem Individuum - das einen Anfang und ein Ende hat - festgehalten. Warhol scheint es gewußt zu haben: „Die sind noch nicht ganz so weit.“ In seiner 1970 herausgebrachten Zeitschrift „Interview“ werden berühmte Persönlichkeiten vorgestellt, in Gesprächen, die alle gleich - nichtssagend - verlaufen. Die Demontage der Idole geht einher mit Werbung für identitätsstiftende Markenartikel. Der Verlockung, am Original– Schauplatz Spuren zu sichern, also jemanden in New York zu finden, der bis sechs Uhr morgens (Ortszeit) einen Bericht durchgibt, mußten auch wir erliegen. Die Telefongespräche erbrachten eine Zusage von Gisela Freisinger und eine Theorie: Die Operation Warhols an der Gallenblase sei eine Nachbehandlung der 68er Schußverletzung an der Milz gewesen. Sein Tod mithin eine an Dutschke erinnernde Spätfolge des Attentats der „Society for Cutting Up Men“–Gründerin Valerie Solanas. Damals hatten Feministinnen in New York Flugblätter verteilt, in denen das Opfer als „Number One Plastic Man“ bezeichnet worden war. Seit seiner Milz–Verletzung hatte Warhol auf alle Fälle eine Pigment–Störung, die seine Haare bleichte und ihn immer blasser und durchsichtiger werden ließ. Die Sucht des Schwindens schien ihn körperlich erfaßt zu haben. „Man kann die Hoffnung auf Wiedergeburt fahrenlassen, wenn man nicht zuvor erkennt, daß man tot ist“, schrieb Leslie Fiedler in einem Aufsatz „Über die Postmoderne“ 1969. In einer „Strategie des Objekts“ (Baudrillard)gibt es allerdings weder Geburt noch Tod, nur den Verlust einer Kopie, deren Original nie existiert hat. Bestenfalls. Vogel/Höge