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AKW–Gruppen laufen Sturm gegen Stade

■ Brennelementewechsel soll blockiert werden / Atomtechniker berichtet von Mängeln im Notsystem

Am 12. März soll das Atomkraftwerk Stade abgeschaltet werden. Nicht endgültig, wie landauf landab gefordert wird, sondern nur, um es für ein weiteres Betriebsjahr mit neuen Brennstäben nachzurüsten. Norddeutsche Anti–AKW–Initiativen wollen den „Brennelementewechsel“ nutzen, um die Stillegung dieses Reaktors auf die Tagesordnung zu setzen. Dabei bekommen innerhalb von vierzig Tagen 1.200 Fremdarbeiter die zulässige Dosis radioaktiver Strahlen. Um auch das politische Klima vor Ort umzukrempeln, steen die Chancen nicht schlecht: so hat z.B. die niedersächsische SPD hat sich einem Antrag der Grünen im Landtag angeschlossen und unter den örtlichen SPD–Politiker ist der Streit um das AKW entbrannt. Sogar innerhalb des Betreibers, der PrEAG gibt es Stimmen, die den alten Stade–Reaktor „opfern“ wollen. Einer der AKW– Techniker verriet einem Aktivisten der Stade–Kampagne, warum der „Schrottreaktor“ den aus AKW–Unfällen gewonnenen Sicherheitsanforderungen nicht entspricht.

Gibt es eine neue AKW–Bewegung oder gibt es sie nicht? Hat sich die „Bewegung“ nach Tschernobyl nur zu einem Strohfeuer zusammengefunden oder kommen die „neuen“ Anti–AKW– Initiativen mit ihren Aktionsvorstellungen? Die Sommermonate sind vorbei, in denen diese Fragen nach der politischen Niederlage der Brokdorf–Demonstration hin– und hergewendet wurden. Die „Stade–Kampagne“ soll eine Antwort auf die Krisen–Debatte der Sommer–Monate sein. In konzertierter Aktion sollen parlamentarische Initiativen, juristische Schritte, wissenschaftliche Kritik und Aktionen vor Ort und in der norddeutschen Öffentlichkeit zusammenwirken. Die BIs wollen weder „Latsch–Demos“ noch eine der traditionellen Großaktionen am Bauzaun (“Brokdorf– Falle“). Vielfältige Aktionsformen sollen ein gemeinsames Vorgehen der gerade neu entstandenen „Becquerel–“ und „Eltern– Kind–Initiativen“ zusammen mit den „alten“ Anti–AKW–Gruppen ermöglichen. Der Hintergedanke des Aktionszieles Stade ist, an dem Reaktor der ersten Generation, für den niemand die Überlegenheit der westdeutschen Atomtechnologie behaupten kann, einen Erfolg und Durchbruch zu versuchen. Als sich am vergangenen Dienstag sich in den Räumen der „Bürgerinitiativen Umweltschutz Unterelbe“ (BUU) in Hamburg Vertreter norddeutscher Anti– AKW–Initiativen zusammensetzten, ging es um die konkrete Umsetzung dieses Konzeptes: Am 6. März soll eine große, vier Wochen dauernde Kampagne gegen den „Schrottreaktor“ in Stade beginnen. Nach einer „Auftakt“–Blockade der Gewaltfreien Aktion Hamburg am 6.3. und einigen Veranstaltungen soll es am 14. März losgehen: mit einer großen Blockade der Zugänge zum Reaktor. Die Hamburger Versammlung einigte sich auf einen Aktionsbeginn von 9 Uhr, Treffpunkt soll in Bassenfleth sein. Mindestens eine Schicht der Leiharbeiter soll aufgehalten werden. Weniger Transportfahrzeuge als Busse und Privat–PKWs werden erwartet. Wie können sie aufgehalten, blockiert werden, ohne daß der falsche Eindruck entsteht, die Aktion richte sich gegen Leute? Klar war, daß jede physische Konfrontation ausgeschlossen sein muß. Der Werksverkehr soll aber unterbrochen werden. Verhindern oder Behindern? Wird es gelingen, die Arbeiter in ein Gespräch zu verwickeln? Am 21./22. März sind dann alle, die professionell mit Pinsel und Farbe umgehen können, dazu aufgerufen, ihre Ateliers nach Stade zu verlegen. „Vielleicht kann die Kunst helfen, diese lebensgefährliche Verdrängung aufzubrechen“, steht in dem am 14. Februar von 120 Vertretern von 70 Initiativen verabschiedeten Aufruftext. Die Bremer Künstler rufen in diesem Zusammenhang zu einer Aktion „Gib Stoff - Kunst für Stade“ auf. Auf Nesselstoff, ein Meter sechzig mal drei Meter, soll schon jetzt in den Ateliers zuhause ein endlos– Bild entstehen. Am 21./22. März soll das Kunstwerk vor Ort weitergemalt und zusammengefügt werden. Posaunen vor den spröden Mauern des AKWs Am 28. März - genau elf Monate nach der Katastrophe von Tschernobyl - soll vor dem sieben Kilometer von Stade entfernten Atommeiler eine „Eltern– Kind–Aktion“ stattfinden. Am 28. März schließlich sollen „Kritik, Widerstand und Lebensfreude“ in einer Aktion Jericho zusammenkommen. Der Aufruf gibt sich bibelfest: „Und als das Volk die Posaunen hörte, erhob es ein großes Kriegsgeschrei. Da fielen die Mauern um...“ Alle Blasorchester, Sambagruppen, Schalmeienzüge, Streicher und Trommler sowie Straßenmusikanten sind augefordert, zu Konzerten (vormittags) und dann sternförmig zum großen Radau am AKW zu kommen. „Die Hamburger sind wasserscheu“, sagt ein Bremer Vertreter der Stade–Gruppe. „Alles, was hinter der Elbe liegt, verschwindet im Nebel.“ Brokdorf ist geografisch weiter entfernt von Hamburg als Stade, politisch liegt es - diesseits der Elbe - näher. Zumindest für die „alten“ Anti– AKW–Gruppen gilt das. Obwohl viele Bürgerinitiativen die Aktion mit vorbereiten und unterstützen, hat die Hamburger Grün–Alternative Liste (GAL) sich mit der merkwürdig anmutenden Begründung bisher zurückgehalten, das Aktionsziel der Stillegung des Schrottreaktors sei nicht realistisch. Die Diskussion soll in den nächsten beiden Wochen also noch weitergehen, am 9.März beim BUU in Hamburg sollen die Erfahrungen der ersten Blockade am 6.3. ausgewertet werden. K.W. Die sehr informative 50seitige „Stade–Broschüre“ sowie Flugblatt–Aufrufe und Plakate gibt es im Bremer BBA–Laden, St. Pauli– Str.1, 2800 Bremen 1, Tel. 0421/700144

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