: Die Ermordung eines Präsidenten
■ Dubiose Enthüllungen über das Innenleben des Elysee–Palasts und der sozialistischen Parteispitze in dem Buch „Der Präsident ist tot“ / Ein französischer Polit–Thriller erster Wahl über die fiktive Ermordung Mitterrands entzückt tout Paris
Aus Paris Georg Blume
Gestern abend, 21 Uhr 33, Elyseepalast. Eine Wache, offensichtlich von der Ankunft informiert, salutiert den Wagen von Jacques Attali, dem Sonderberater des Präsidenten der Republik. Auf der Schwelle der kleinen Tür an der Seite des Palastes wartet Attalis Freund Jean–Louis Bianco, der Generalsekretär des Elysees. Ein ungewöhnliches Zeremoniell, besonders zu dieser späten Stunde. „Jacques, ein Unglück ist passiert, eine entsetzliche Katastrophe. Sag nichts, wir werden versuchen, ruhig zu bleiben: Der Präsident ist tot.“ - „Was sagst du da?“ - „Hör zu, Jacques, es ist ein Mord. Ich werde versuchen, dir so ruhig wie möglich zu erzählen, was hier heute abend passiert ist.“ Vier Gäste hatte Franois Mitterand an diesem Abend geladen, Laurent Fabius, Pierre Mauroy, Lionel Jospin und Michel Rocard, die Führungsspitze der sozialistischen Partei. Sie sind die vier Tatverdächtigen und Jacques Attali spielt Maigret. Spannend, oder nicht? Die taz–Leser/innen kennen jetzt die ersten Zeilen und das Szenario des seit langem aufregendsten französischen Kriminalromans: Wir erleben die wunderschöne Durchleuchtung aller Chefetagen der Pariser Politik. Doch genug der Erklärungen, jetzt erst geht es richtig los. Natürlich gibt es für alle vier Kandidaten nur ein Tatmotiv: 1988 anstelle von Mitterrand Präsidentschaftskandidat zu werden. Und Attali, der den Mord bis zum Ministerrat am Mittwoch geheimhalten will, nicht nur um den Täter zu stellen, sondern um gleichzeitig auch die Nachfolge des Präsidenten zu regeln, erkennt, daß jeder seiner vier Freunde sich erstaunlicherweise selbst für den besten Kandidaten hält. Das aber macht sie alle umso verdächtiger. Während so der Sonderberater des Präsidenten seine Nachforschungen anstellt, bereiten die mutmaßlichen Täter - jeder auf seine Art - bereits ihre Kandidatur vor, hat sie doch alle die Ahnung ungewöhnlicher Ereignisse erfaßt. Michel Rocard, Frankreichs populärster Sozialist, Wahlsieger nach allen Umfrageergebnissen, moderat und liberal, doch Intim feind Mitterrands, hat als einziger den Toten gesehen. Erleichtert erklärt er alsbald der afp: „Die Weisheit Franois Mitterrands in der schwierigen Handhabe der „Cohabitation“ verdient den enormen Respekt aller Demokraten dieses Landes. Wenn er entscheidet, die Franzosen um eine Erneuerung seines Präsidentschaftsmandats zu bitten, würde ich mit großem Herzen meine eigene Kandidatur aufgeben.“ Michel Rocard geht davon aus, daß dieser Fall nicht mehr eintreten kann. Bald bekommen auch die politischen Gegner der Rechten Wind von den Ereignissen. Premierminister Jacques Chirac versteigt sich zu einer wahren Liebeserklärung an den Präsidenten: „Wenn ich in den Elysee gehe, um ihn zu treffen, empfinde ich das Vergnügen, mich mit einem intelligenten, weitsehenden und toleranten Menschen unterhalten zu können.“ Dabei muß Attali feststellen, daß alle Kontrahenten ausschließlich auf die Gegner aus der eigenen politischen Reihe zielen. Chirac geht den „Cohabitations“– Gegner Barre an, Rocard will den „Mitterandisten“ Fabius, Mauroy und Jospin zuvorkommen. Zum Schluß aber ziehen sie alle den Kürzeren. Denn plötzlich - wie sollte es anders kommen, der taz–Leser hat es bereits geahnt - plötzlich also, am Mittwochmorgen, ist Mitterrand wieder da. Der Mord war vorgetäuscht, er hat sie alle reingelegt. Rocard und Chirac, seinen schärfsten Konkurrenten, ist die Kritik am Präsidenten durch ihre Aussagen in Zukunft versagt. Was will Mitterrand mehr! Dann ist der Krimi aus. Nun mögen die taz–Leser letzteres so aufregend nicht mehr finden. Und richtig, muß ich doch das Wesentliche hier nahezu verschweigen. Wunderschön ist eben, in welcher Weise der Autor des Buches, den sein Verleger als Kenner des Elyseepalastes ausgibt, französische Politpraxis skizziert. Da hat zum Beispiel jeder Kandidat einen kleinsten Kreis enger politischer Freunde, mit denen er - Parteidisziplin hin, Parteidemokratie her - alle wichtigen Entscheidungen trifft. Fast scheint es, als wolle der Autor, übrigens kein Elysee– Spezi, sondern ein renommierter Politikprofessor, der sich lieber ein Pseudonym gibt, Georges Marchais rechtgeben, wenn er behauptet, die KPF sei die demokratischste Partei Frankreichs. Da kommt, ein weiteres Beispiel, der Elysee–Intellektuelle Attali in größte Verlegenheit, als sein Sohn ihn fragt: „Hat Gott das Recht, über sein eigenes Sein oder Nicht– Sein zu entscheiden?“ Mitterrand jedenfalls scheut dies hier nicht, und bleibt schließlich derjenige, der einzig und allein - ohne Freundeskreis - über alles entscheidet. Fürwahr, wenn es so ist, könnte man die Mordgelüste verst hen. Aber vielleicht wollte unser Autor, Roland Cayrol heißt er, auch nur die alte Maxime Georg Büchners aktualisieren: Friede den Hütten und Krieg den Palästen!
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