„Gelsenkirchener Metaller immer voraus“

■ Drei Tage vor dem offiziellen Beginn der IG Metall–Warnstreiks für die 35–Stundenwoche legten gestern 2.100 Beschäftigte für zwei Stunden die Arbeit nieder / Ganze Betriebe oder einzelne Abteilungen blieben leer / Glühwein für die Frühschichten

Von Petra Bornhöft

Gelsenkirchen (taz) - In kleinen Grüppchen zusammenstehend, die Hände tief in den Taschen vergraben, diskutieren Arbeiter vor dem Werkstor von Küppersbusch die Fünf–Uhr–Nachrichten. „Haste gehört, in Japan will die Regierung die Arbeitszeit von 48 auf 40 Stunden senken“, fragt jemand in die Runde, „und wir sollen wieder 50 Stunden in der Woche malochen.“ Wütend reagieren die Metaller auf die Arbeitgeberabsicht, den Zehn–Stundentag und die Samstagsarbeit zur Grundlage der Tarifverhandlungen zu machen. „Uns reichts“, steht auf dem kleinen Transparent vor dem Fabriktor, und „Warnstreik“. Aber nicht nur bei Küppersbusch versammelte sich gestern morgen fast die komplette Frühschicht. In 16 Gelsenkirchener Betrieben ruhte die Arbeit zwischen sechs und acht Uhr, dazu vorübergehende Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen in Frankfurt, Stuttgart und Berlin. Einzelne Autos passieren die Schranke, Männer und Frauen laufen mit hochgeschlagenen Kragen an den Streikenden vorbei. „Helga, Deine Tasche brauchst Du nicht reinzubringen“, ruft der Betriebsratsvorsitzende Manfred Behrens einer Kollegin auf der anderen Straßenseite zu, „unsere Sachen stehen alle hier vorn im Büro.“ Wortlos eilt die Frau in den Betrieb. „Vielleicht hat sie Angst vor den angekündigten Entlassungen“, sagt jemand und fügt mit einem Blick auf die vorbeifahrenden Autos hinzu: „Die Angestellten machen sowieso nie mit.“ Trotzdem finden sich von 160 Beschäftigten der Frühschicht nur 20 an ihrem Arbeitsplatz ein - die Produktion der Koch–Herde steht still. Langsam formiert sich in der Dunkelheit ein Demonstrationszug. Längst sind die drei Thermoskannen leer. Die weder gegen Müdigkeit noch schlechte Laune kämpfende Frühaufsteherin von der Marxistisch–Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) ist ihren Kaffee schnell losgeworden. Dagegen hält der Genosse nebenan noch einen dicken Stapel MLPD–Stadtzeitungen für die Werktätigen in der Hand, als die Streikenden zum nahegelegenen Sportzentrum Schürenkamp losmarschieren. Auf dem Kundgebungsplatz treffen zehn Busse und kleine Demonstrationszüge ein. Live–Musik vom Lautsprecherwagen verleitet einige Frauen zu kleinen Tanzschritten. Trotzdem kriecht die Kälte in die Fußspitzen. Da helfen noch nicht mal Brötchen und Glühwein am belagerten SPD–Stand. Deshalb verziehen sich während der kurzen Reden von fünf Betriebsräten Hunderte in die Vorhalle des Sportzentrums. Zeit für ein Schwätzchen über den letzten Kegelabend oder Steffis Einzug ins Tennisfinale. Man sucht Bekannte und handelt Teilnehmerzahlen. Später bestätigt die Polizei, daß die IG Metall Gelsenkirchen 2.000 Menschen mobilisiert. Daß die Gewerkschaft ihre bundesweiten Aktionen im Scheinwerferlicht der surrenden Fern sehkameras ausgerechnet in der Revierstadt startete, sei kein Zufall, heißt es. „Unsere Vertreterversammlung war das erste gewerkschaftliche Gremium“, ruft der erste Bevollmächtigte Werner Schreiber ins Mikro, „das 1973 die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung beschlossen hat.“ Beifall, die Kollegen sind stolz, daß sie „immer eine Nasenlänge vorn sind“. Die gestrige Aktion, bei der Arbeiter 4.200 Stundenlöhne einsetzten, sollte, so Schreiber, ein „Signal an die Arbeitgeber setzen“. Mit einem schnellen Abschluß der Tarifverhandlungen rechnet auch der Betriebsratsvorsitzende Günter Schemerra, zugleich Mitglied der nordrhein– westfälischen Tarifkommission, nicht. Er wird den Arbeitgebern in der am Montag in Krefeld beginnenden nächsten Verhandlungsrunde die „Geschlossenheit der Metaller“ übermitteln. Das wird nicht ausreichen, doch in Gelsenkirchen hat die IG Metall „noch viele spektakuläre Aktionen auf der Pfanne“, sagt der IGM–Chef Schreiber im Gespräch mit der taz.Vielleicht wird man dann mehr hören als in den Acht–Uhr–Nachrichten am Mittwoch, zu einem Zeitpunkt, als auf dem Kundgebungsplatz längst nur noch Müllwerker ihrer Arbeit nachgingen.