CDU für US–Verhandlungskonzept

Bonn (taz) - Glücklich sind einige Politiker in der Bundesregierung gewiß nicht gewesen, als der sojwetische Generalsekretär Gorbatschow die Verknüpfung mit SDI, die er auf dem Island– Gipfel vor sechs Monaten so festgepackt hatte, wieder aufgeschnürt hat und die Bereitschaft zu einem separaten Mittelstreckenwaffen–Abkommen bekundete: Schließlich fürchtet ein Teil der Unionsparteien mitsamt einem Teil der Militärs eine Null–Lösung wie der Teufel das Weihwasser: Die Pershing II und Cruise Missilles gelten für sie als militärisch notwendige Waffensysteme, um die BRD wieder stärker an den amerikanischen „Atomschirm“ zu koppeln. Mit Gorbatschows Reformpolitik aber trat eine Situation ein, in der die Sowjetunion dem Westen größere Zugeständnisse machte, „als die Friedensbewegung je für möglich gehalten hatte“, wie der grüne Bundestagsabgeordnete Mechtersheimer formulierte. Zugeständnisse, die die Bundesregierung in zunehmend größere Legitimationsprobleme brachte - hatte sie dem Osten die Null–Lösung doch jahrelang als Verhandlungskonzept angeboten. Nach dem Reykjavik–Gipfel überschlugen sich CDU–Politiker wie Todenhöfer und Dregger plötzlich mit der Forderung, kein Abkommen über Mittelstreckenwaffen ohne gleichzeitig eine Verringerung von Kurzstreckenraketen zu schließen. Als Gorbatschow das Paket vor einigen Tagen aufschnürte, war bei CDU–Politikern in Bonn oder Militärs in Brüssel allerdings weniger Aufregung zu bemerken. Daß das Unbehagen allerdings groß ist, machte NATO–Oberbefehlshaber Rogers deutlich: Rogers warnte vor einem separaten Mittelstreckenwaffen–Abkommen, da dann die angebliche sowjetische Überlegenheit im konventionellen Bereich übermächtig würde. Und CDU–Mann Dregger forderte die NATO auf, die Kurzstreckenraketen „sofort“ in die Verhandlungen in Genf „einzubringen“. Eine Linie, die sich derzeit nicht durchzusetzen scheint: Am Dienstag nachmittag sprach sich die CDU–Fraktion „einheitlich“ für das amerikanische Verhandlungskonzept aus: Die Sowjetunion dürfte 100 Sprengköpfe behalten, die im fernen Osten stationiert werden. Der Westen dürfte auf amerikanischem Terrritorium ebenfalls 100 Sprengköpfe behalten. Gleichzeitig sollen in dem Abkommen die Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite (500–1.000 km) eingefroren werden. Die NATO, die an Raketen dieser Reichweite nur 72 Pershing Ib–Raketen zählt, möchte sich ein „Recht“ auf Aufstockung vorbehalten. Ferner soll das Abkommen die Verpflichtung enthalten, innerhalb von sechs Monaten mit Verhandlungen über eine Verringerung von Mittel– und Kurzstreckenraketen zu beginnen. Die SPD wie die Grünen haben wiederholt Befürchtungen geäußert, wonach die NATO mit ihrem Recht auf Aufstockung neue „Nach“rüstungen mit Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite anpeilen könnte. Der grüne Abgeordnete Mechtersheimer äußerte die Befürchtung, die Pershing–II–Rakete könnte einfach um eine Antriebs–Stufe reduziert werden, um statt einer Reichweite von 1.800 km auf rund 1.000 km zu gelangen. Neue Hürden könnten an der Frage der Ortsinspektionen aufgebaut werden: Langjährige Erfahrungen im Bereich der Rüstungskontrolle lehren, daß es schwierig ist, die Einhaltung von solchen Verträgen zu überprüfen und gleichzeitig Spionage auszuschließen. Auch innerhalb der Friedensbewegung ist die Skepsis gegenüber den Genfer Verhandlungen offenbar geringer geworden: Nach Irangate, so die Einschätzung, sei für den US–Präsidenten der Anreiz zu einem Abkommen größer geworden, zumal die USA im Bereich der strategischen Rüstung und der Weltraumrüstung keinerlei Zugeständnisse machen müßten. Bereits wird in der Bundesregierung ein mögliches Abkommen als ein Erfolg der „harten“ Politik des „Aufrüstens um abzurüsten“ gefeiert. Alfred Mechtersheimer von den Grünen bestreitet dagegen, daß dieses Konzept funktioniert: Wenn es zu einer Vereinbarung käme, dann nur, „weil Gorbatschow mit einseitigen Vorleistungen dem Westen mehr anbietet, als dieser jemals für möglich gehalten hat“. Ursel Sieber