Klare Alternativen haben bei der SPD Konjunktur

■ Gustav–Heinemann–Akademie organisiert SPD–Programmcolloquium / Genossen auf dem Weg in die klassenlose Gesellschaft? / „Marxistischer Aberglaube“ versus Politik der „kleinen Schritte“

Von Jakob Sonnenschein

„Ein bißchen sozialer, ein bißchen umweltfreundlicher, ein bißchen demokratischer. Ich habe die Schnauze davon voll. Wir brauchen einen klaren Gegenpol.“ Diese Sehnsucht nach Klarheit, die dem Diskutanten in der Gustav–Heinemann–Akademie in Freudenberg letzte Woche den Kragen platzen ließ, ist charakteristisch für viele Sozialdemokraten, die sich derzeit an der Debatte um ein neues Grundsatzprogramm ihrer Partei beteiligen. Klare Alternativen haben Konjunktur; offenbar nicht beim Wahlvolk, aber in der SPD. Gefragt sind scharfe Konturen, Relativsätze öden nur noch an. Wer diese Klarheit im neuen Programmentwurf sucht, wer die Seiten nach dem archimedischen Punkt, dem Hebel zur Umschaltung auf eine andere gesellschaftliche Entwicklungslogik durchstöbert, der wird nicht fündig. Dabei fängt alles so gut an. „Ziel des Sozialismus war und ist“, so heißt es auf Seite 10, „überkommene gesellschaftliche Verhältnisse als etwas von Menschen Geschaffenes und Veränderbares zu erken nen und zu überwinden, sie soweit als möglich durch die freie Selbstbestimmung der Menschen zu ersetzen, die Herrschaft des Kapitals über die arbeitenden Menschen, der toten über die lebendige Arbeit, der Gewinnerzielung über die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu brechen, die Existenz bevorrechtigter herrschender Klassen aufzuheben, Frauen und Männer in der Gesellschaft gleichzustellen und auf der Grundlage allgemeinen Wohlstandes jedem Menschen ein Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zu ermöglichen.“ „Klassenlose Gesellschaft“ In diesem Satz ist das sozialdemokratische Politikziel für den Bremer Politologen und früheren Stamokap–Juso, Detlev Albers, in „nahezu klassischer Weise umrissen“. Albers verdichtete diese Zielbestimmung während des Freudenberger Colloquiums zu der Forderung nach „der klassenlosen Gesellschaft“. Gemessen an diesem Ziel seien die Umsetzungsstrategien im Programm so dünn geraten, daß das „Fernziel“ verbannt und zugangslos, gewissermaßen nur als „Utopie im negativen Sinne“ übrig bliebe. Was für Albers „klassisch umrissen“ ist, findet sich für den traditionellen theoretischen Kopf der SPD und Mitverfasser des Programms, für den Berliner Politologen Richard Löwenthal, dagegen überhaupt nicht in dem Entwurf. Für Löwenthal gehört der Verzicht auf die Formulierung eines „Endzieles“ gerade zu den Stärken sozialdemokratischer Politik und des neuen Programmentwurfs. Heinz Rapp, treibende Kraft der Programmdiskussion, legte noch eine Schüppe nach. Der „wissenschaftliche Sozialismus“, die Lehre vom „Endziel“, sei nichts anderes als „Aberglaube“. Die Sozialdemokraten müßten „verrückt“ sein, jetzt, wo man überall in der Welt davon abrücke, sich an diese Theorien anzulehnen. Die Alberssche Zielinterpretation aus dem Entwurf ist in der Tat abenteuerlich. Sie beruht auf der Überhöhung eines Eigensatzes zu einem Leitsatz, die durch das Programm nicht abgedeckt wird und wohl eher dem Problem der selektiven Wahrnehmung zugerechnet werden muß. Schon auf Seite 13 heißt es dazu: „Die Sozialdemokratie kämpft nicht nur für Reformen in Kapitalismus, sie will durch demokratische Reformpolitik eine bessere gesellschaftliche Ordnung erreichen. Ein Paradies auf Erden meinen wir auch damit nicht schaffen zu können. Das Ringen um Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität wird weitergehen. Es kennt zwar Wegmarken und Zielpunkte, aber kein Endziel.“ Was ist Kapitalmacht? Sind die Ziele des „demokratischen Sozialismus“ unter den Sozis schon umstritten, so verschärft sich der Streit erst recht bei den politischen Instrumenten, mit denen die Umsetzung erreicht werden soll. Ein Streit, der im Programmfindungsprozeß strukturell angelegt ist. Immerhin soll der Programmentwurf ein plurales Angebot darstellen, sollen sich auf dem Fundament marxistisch geprägte Sozialdemokraten ebenso wie christlich orientierte Sozis versammeln können. Für Thomas Meyer, Organisator der Freudenberger Veranstaltung und ebenfalls Mitglied in der Programmdiskussion, geht das Programm von einem neuen sozialdemokratischen Fortschrittsmodell aus, in dem die Sicherung des Friedens und der Natur den Godesberger Grundwerten des demokratischen Sozialismus vorangestellt werden. Für Meyer zieht sich durch das Programm die „integrative Idee“, sei es bei der „Ökologisierung der Wirtschaft“, bei der beabsichtigten Gleichstellung von Frauen und Männern oder bei der sozialen Technikkontrolle. Wirtschaftpolitisch gehe es weder um „Planung“ noch um „Vergesellschaftung“, sondern um „selektive Wirtschaftssteuerung“, die aber Sozialisierungen nicht ausschließe. Thomas Meyer geht es um die „Kontrolle“ des Marktes und um die Kontrolle des Privateigentums, nicht um die Abschaffung. „Seht ihr überhaupt noch das Problem der Umwandlung von wirtschaftlicher Macht in politische Macht?“ fragte daraufhin Albers. Die „Kapitalherrschaft“ in der Demokratie ist zwar auch für Löwenthal eine „Tatsache“, aber das bedeute nicht, daß der Staat nichts weiter als „ein kapitalistischer Klassenstaat“ sei. Rapp in Richtung Albers: Man könne nicht mit den Antworten des 19. die Fragen des 21. Jahrhunderts beantworten. Aber wie kann man gegen die allseits als Tatsache unterstellte „Kapitalherrschaft“ Politik machen? Wie, so insistierte Albers, könne Hans Ulrich Klose dem Programmentwurf zustimmen, wo er es doch gewesen sei, der den Staat als „Reparaturbetrieb des Kapitalismus“ bezeichnet habe. Klose, ebenfalls Mitverfasser, gestand ohne Umschweife ein, er „habe kein Konzept“, wie der Umwandlung der ökonomischen Macht in politische Macht beizukommen sei. Mitbestimmung im Betrieb? Ja, aber zum Scheitern seiner Atomausstiegspläne in Hamburg hätten nicht zuletzt die Arbeitnehmervertreter ihren Gutteil beigetragen. Grün–rote Gemeinsamkeiten Eckhard Stratmann, Bundestagsabgeordneter der Grünen und als Referent eingeladen, sah in der Programmthese von der „selektiven Schrumpfung“ der Wirtschaft in ökologisch problematischen Bereichen den „Durchbruch“. Positiv sei für ihn, daß „soziale und ökologische Ziele gleichrangig behandelt“ würden. Ähnlich wie Albers vermißte Stratmann dagegen Strategien, wie „man die Kapitalmacht brechen kann“, um die ökologischen und sozialen Ziele gegen die Profit– und Akkumulationsinteressen durchsetzen zu können. Letztendlich führe das Programm zu einer sozialpartnerschaftlichen Politik, sei mithin ein „reformkapitalistischer Programmentwurf“. Gleichzeitig zeigte Stratmann sich aber mit den programmatischen Aussagen zu dem Verhältnis von Markt und Plan „durchaus einverstanden“. Diese Mischung ging dem Siegener Volkswirtschaftler Prof. Brinkmann dagegen vollkommen gegen den Strich. Das Programm beinhalte „deutliche Vorbehalte gegen die Marktwirtschaft und die eigentliche Hoffnung gehe in Richtung einer vom Staat wesentlich gelenkten Staatswirtschaft“. Einig waren sich der Grüne und die Sozis in einem weiteren Punkt: Aus der Abhängigkeit vom Weltmarkt lösen wollen sich alle, wie das unter Vermeidung größerer Wohlstandsverluste zu schaffen wäre, weiß niemand. Die Sozialdemokraten hoffen auf das Zusammenwachsen der EG - Klose: „Dazu haben wir keine Alternative gesehen“, und Stratmann möchte die „binnenmarktorientierte Entwicklung“, was nicht Abkopplung vom Weltmarkt heiße. Was aber dann? Stratmann: „Ich gestehe eine Unsicherheit zu.“ Während auch Albers auf die „Eurolinken“ hofft, glaubt hingegen Rapp, daß die Weltwirtschaft auch von der BRD aus über Zoll, Währungs– und Umschuldungsprogramme sich im Sinne des demokratischen Sozialismus verändern ließe. Was sich von diesen Überlegungen im neuen Programm wiederfinden wird, steht dahin. Die Debatte beginnt in der SPD gerade erst. Ende 1988 entscheidet der Parteitag. Daß von diesem Programm letztendlich viel umgesetzt werden könnte, bezweifelte so mancher Diskutant während der Tagung. „Liebenswerte Ideen“ zwar, aber das „Subjekt“, das das Programm durchsetzen könne, fehle. Sozialismus sei eben „out“. S Z E N E K A L E N D E R