Große Wäsche für den Personalausweis

■ Aus Protest gegen den neuen Personalausweis wäscht eine Berliner Lehrerin regelmäßig und in aller Öffentlichkeit ihren Ausweis / Jetzt wurde das Dokument von der Polizei aus der Waschschüssel heraus konfisziert

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Regelmäßig geht die Berliner Lehrerin Lena Schraut mit ihrer roten Waschschüssel „große Wäsche“ machen und tut das - nach bester alter Tradition der Waschhäuser - in aller Öffentlichkeit: vor der Berliner Gedächtniskirche z.B. oder in der Fußgängerzone an der Wilmersdorferstraße. Seit letzter Woche jedoch hat Lena Schraut den Verlust ihres Wäschestückes zu beklagen. Ein grünuniformierter Kontaktbereichsbeamter erklärte mit sicherem Griff in die Waschschüssel das gute Stück für beschlagnahmt. Dabei war es nicht einmal ein aufreizendes Dessous, das den Staatsdiener zum sofortigen Eingreifen in das eiskalte Wasser veranlaßte, sondern ein ganz normaler und dazu noch gültiger Berliner Personalausweis, der dort gerade den Einweichgang durchlief. Seit Anfang Dezember, seitdem feststeht, daß uns ab 1. April 87 der maschinenlesbare Personalausweis droht, wäscht Lena Schraut samstäglich ihren Personalausweis. Zusammen mit einigen Mitstreitern aus der Alternativen Liste will sie auf diese Weise öffentlichkeitswirksam über die Gefahren des neuen Ausweises informieren. „Weshalb“, fragt Lena, „muß ich zur Kontoeröffnung bei der Sparkasse meinen Personalausweis vorlegen, während die Schalterbediensteten sich nicht ausweisen müssen, obwohl die doch schließlich mein Geld wollen! Und man muß sich doch auch einmal vergegenwärtigen, daß es die Nazis waren, die 1936 die Ausweispflicht überhaupt erst eingeführt haben.“ Viele der älteren unter den Zuschauern, die schon bald um Lena Schrauts Waschschüssel herumstehen, können sich noch gut an die „ausweislose“ Zeit erinnern. Am Montag darauf steht Lena Schraut dann regelmäßig mit zwei Paßbildern bei ihrer Meldestelle und bekommt - bisher ohne jegliche Schwierigkeiten - einen neuen Ausweis ausgestellt. In die Rubrik, wie denn ihr Ausweis in den beklagenswerten desolaten Zustand geraten sei, trägt sie immer wahrheitsgemäß: „gewaschen“ ein. Die Mitarbeiter der Meldestelle fanden das bisher ganz normal, und Lena Schraut hat auf diese Weise jetzt seit Dezember ihren dritten oder vierten (“So ge nau weiß ich das nicht mehr“) Personalausweis erhalten. Am letzten Samstag jedoch fand ein Kontaktbereichsbeamter das gar nicht normal. Er fischte das grüne Dokument aus der Waschschüssel und wollte sich mit dem „corpus delicti“ davonmachen. Nach einer Erklärung für diese Beschlagnahmung gedrängt, erklärte der Grünuniformierte, es liege offensichtlich eine Beschädigung von Staatseigentum vor. Nur nirgends in dem Ausweis steht davon eine Zeile, und in Berlin grenzt eine solche Behauptung schon fast an Amtsanmaßung, denn hier gehört das gesamte Ausweiswesen noch immer zu den Hoheitsrechten der Alliierten. Außerdem, so Lena Schraut, „in keinem Gesetz, selbst nicht in dem neuen Personalausweis der Bayern - und die müssen es ja wissen - steht drin, daß man das gute Stück nicht waschen darf, sooft es einem beliebt.“ Nun gut, mit dem Staatseigentum und der Rechtsgrundlage hatte der Beamte, der sich inzwischen als Nr. 110811 ausgewiesen hatte, schlechte Karten. Herausgeben wollte er den Ausweis deshalb aber noch lange nicht. Der Ausweis sei unbrauchbar und das dürfe nicht sein. Weit gefehlt, argumentiert jetzt Lena Schraut in einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die sie inzwischen gegen Nr. 110811 eingereicht hat, „der Ausweis wäre nach ordnungsgemäßem Trocknen durchaus noch brauchbar gewesen“. Und ordnungsgemäß getrocknet hat der Beamte den Ausweis sicher nicht, als er ihn in seine Tasche steckte und erklärte, er werde ihn der Frau Schraut auf dem Postweg wieder zurückschicken. Da ist er aber noch nicht angekommen, und so mußte Lena Schraut, um nicht gegen alliierte Vorschriften zu verstoßen, die das Nichtbeisichtragen eines Personalausweises mit einer Buße sogar bis hin zur Todesstrafe ahnden, sich am Mittwoch wieder einen neuen Ausweis holen. Und mit diesem und ihrer roten Waschschüssel wird sie am Samstag wieder in der Fußgängerzone in der Wilmersdorferstraße stehen. Irgendwann jedoch wird auch Lena Schrauts letzter papierener Ausweis sich porentief sauber im Waschwasser aufgelöst haben, und dann wird auch sie um die maschinenlesbare Plastikkarte nicht herumkommen. Aber, so Lena Schraut, „ich vermute, den neuen Ausweis werden ich dann so schnell verlieren wie alle anderen Dinge auch, die mir unwichtig und unnötig erscheinen.“ (Übrigens: Wer in Berlin seinen alten Ausweis ebenfalls für reinigungsbedürftig hält, sollte die Gelegenheit zu einer öffentlichen Waschung am Samstag um 11 Uhr in der Fußgängzone Wilmersdorferstraße nicht ungenutzt lassen.)