Öffentlichkeit sehr unerwünscht

■ Zwölf Jahre für US–Soldaten wegen versuchter Vergewaltigung / Nebenklage des Opfers nicht zulässig / Notruf– Frauen aus „Sicherheitsgründen“ von Verhandlung ausgeschlossen / Wer zahlt für „Besatzungsschaden“?

Von Ulrike Helwerth

Zwölf Jahre Haft für einen besonders schweren Fall von versuchter Vergewaltigung verhängte ein Militärgericht vergangene Woche in Stuttgart über einen 20jährigen Stationierungssoldaten. Eine ungewöhnlich harte Strafe im Vergleich zu den Urteilen, die bundesdeutsche Gerichte bzw. Militärgerichte anderer Nationen in ähnlichen Fällen sprechen. Im Juni 1985 wurde in Berlin ein Soldat von einem britischen Militärgericht wegen Vergewaltigung zu fünf Jahren verurteilt, einige Monate zuvor das Verfahren gegen einen anderen britischen Soldaten sogar eingestellt. Geht die amerikanische Armee mit Vergewaltigern härter ins Gericht? Hintergründe der Tat und Gepflogen heiten amerikanischer Gerichtsbarkeit rücken das „harte Urteil“ zurecht. Ende Mai 1986. Die heute 22jährige Natascha L., Auszubildende in einem Kaiserslauterner Reisebüro, begleitet eine Gruppe in der BRD stationierter GIs und Familienangehörige auf einen Wochenendtrip nach Paris. Der Job als Reiseleiterin ist anstrengend. Sie geht müde auf ihr Hotelzimmer und schläft sofort ein. Einige Stunden später schrickt sie durch einen harten Schlag auf ihren Kopf hoch. Auf ihr liegt ein Mann. Sie erkennt in ihm einen Teilnehmer ihrer Reisegruppe. Er hat ein Messer in der Hand und sagt: „I gonna kill you, dirty bitch.“ Lange 30 Minuten kämpft Natascha L. auf Leben und Tod gegen seine gewalttätigen Angriffe, bevor Hotelpersonal und Gäste auf den Lärm und die Schreie reagieren. Noch heute, zehn Monate später, gerät Natascha L. vor Grauen und Ekel ins Stocken, wenn sie sich an die Schrecken jener Nacht erinnert. Das Interesse der US–Armee Vergangene Woche mußte sie - von Angesicht zu Angesicht mit dem Täter - vor einem US–Mili tärgericht zu jenen Ereignissen aussagen. Denn nach Artikel 7 des NATO–Truppenstatus üben die jeweiligen Besatzungsmächte die Strafgewalt über ihre hier stationierten Soldaten aus. Der „Aufnahmestaat“, in unserem Fall die BRD, kann das Verfahren an sich ziehen, wenn die Straftat auf seinem Hoheitsgebiet verübt wurde. Doch die bundesdeutschen Gerichte verzichten in der Regel - wenn es sich nicht um kapitale Verbrechen wie Mord handelt - auf dieses Recht. Akteure der Verhandlung: Ein Militärankläger, ein Militärrichter, der Angeklagte, sein ziviler Wahlverteidiger und ein militärischer Pflichtverteidiger. Ein parteiischer Prozeß also, da alle Männer einem gemeinsamen Interesse verbunden waren: Dem der amerikanischen Armee. Der einzige wirkliche Gegenpart, das Tatopfer, spielte in der Verhandlung eine untergeordnete Rolle. Sie war nur als Zeugin zugelassen. Denn anders als im bundesdeutschen Strafrecht kennt das amerikanische das Recht auf eine Nebenklage in einem Vergewaltigungsprozeß nicht. Alles schon entschieden Daß Natascha L. - zwar schwerverletzt - aber mit dem Leben davongekommen ist, hat sie ihrem ausdauernden Widerstand, aber auch dem Umstand zu verdanken, daß andere Hotelgäste nach einer halben Stunde von dem Lärm, der aus ihrem Zimmer drang, beunruhigt waren, den Portier informierten und die Tür zu ihrem Zimmer aufbrachen. Obwohl das Leben von Natascha L. auf das Äußerste bedroht war, tauchte in der Anklageschrift der Vorwurf des „versuchten Totschlags“ nicht auf. Der Prozeß war bereits weitgehend entschieden, bevor die Hauptverhandlung eröffnet wurde. Der Ankläger und der Verteidiger hatten sich kurz vor Prozeßbeginn in einem - in amerikanischen Strafverfahren üblichen - „plea bargaining“ (wörtlich: Feilschen um den Einspruch) darüber geeinigt, welche Anklagepunkte auf jeden Fall zur Verurteilung und welche Strafen im Höchstfall dafür ausgesprochen werden sollten. Das „plea bargaining“ wurde ins amerikanische Prozeßwesen eingeführt, um die Gerichte in Verfahren zu entlasten und die Verhandlungen zu beschleunigen. Der Angeklagte bekennt sich dabei von vornherein für einen Teil der ihm vorgeworfenen Delikte - oder für ein minderschweres - schuldig. Verteidigung und Anklage einigen sich auf ein Höchststrafmaß, der Richter entscheidet aufgrund von Zeugenaussagen nur noch darüber, ob weitere Anklagepunkte, zu denen sich der Angeklagte nicht bekennt, auch zur Verurteilung führen. Gleich zu Beginn der Verhandlung gestand der Angeklagte versuchte Vergewaltigung und Einbruch. Die weiteren Anklagepunkte: schwere Körperverletzung (ein Schlag auf den Kopf mit einer vier Pfund schweren metallenen Kaffeekanne, Messerstiche und Würgen) und „sodomy“ (sexuelle Nötigung) stritt er ab. Der Verteidiger versuchte, diese Delikte als Beiwerke zur versuchten Vergewaltigung herunterzuspielen. Der Richter folgte seinen Argumenten und ließ die Anklage wegen schwerer Körperverletzung und sexueller Nötigung fallen. Die versuchte Vergewaltigung und den Einbruch bestrafte er mit 17 Jahren Gefängnis, reduzierte jedoch die Strafe auf zwölf Jahre - auf das Maß, das im vorausgegangenen „plea bargaining“ als Höchststrafmaß festgelegt worden war. Nur ein Drittel der Strafe wird verbüßt Sigrid Berenberg–Gossler, in Vergewaltigungsprozessen versierte Hamburger Rechtsanwältin, die als Natascha L.s Zeugenbeistand im Prozeß auftrat, war von dem Urteil wenig beeindruckt. Sie weiß, das von einem Militärgericht Verurteilte in den USA in der Regel nur ein Drittel ihrer Strafe absitzen müssen. Damit reduziert sich die Strafe voraussichtlich auf vier Jahre. Die Anwältin zeigte sich enttäuscht: „Der Ankläger hat sich überhaupt nicht bemüht, die widerliche Tat in ihrem ganzen brutalen Ausmaß aufzudecken. Seine Zeugenvernehmung war eines Referendars würdig, aber nicht eines erfahrenen Staatsanwaltes.“ Bereits während der Verhandlung hatte der Ankläger sie wissen lassen, daß aus der Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung „wohl nichts mehr wird“. Öffentlichkeit war bei diesem Verfahren von Anfang an unerwünscht. Beim ersten „hearing“ vor einem militärischen Untersuchungsrichter wurde Natascha L. auf Antrag der Verteidigung ausgeschlossen. Zur Hauptverhandlung in Stuttgart waren neben Familienangehörigen nur die Presse zugelassen. Frauen vom Stuttgarter Notruf wurden aus „Sicherheitsgründen“ abgewiesen. Besonders den Verteidiger störte, daß Natascha L. mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit gegangen war. Der Stern hatte im vergangenen Jahr den Kino– und Theaterhit „Extremities“ zum Anlaß genommen, über Vergewaltigungen zu berichten und wie Frauen sich dagegen zur Wehr setzen. Dabei war unter anderen auch Natascha L.s Geschichte erschienen. Jetzt behauptete die Verteidigung, Natascha L. übertreibe den Tathergang unerträglich, und zwar aus materiellem Interesse. (“Wieviel haben Sie für den Artikel und ihr Foto im Stern bekommen?“). Denn Natascha L. und ihre Eltern haben sich mit Schadenersatzforderungen an die amerikanische Armee gewandt. Die junge Frau ist seit 6 Monaten in psychotherapeutischer Behandlung. Ihre Eltern haben bisher über 35.000 DM für die Rechtsanwältin, Flugtickets und eigene Recherchen u.a. bei den Zeugen in Paris bezahlt. Schmerzensgeld nur „aus Gnade“ Üblicherweise ist die Adresse für Schadenersatzforderungen das bundesdeutsche „Amt für Verteidigungslasten“ in Koblenz. Denn das NATO–Truppenstatut legt fest, daß „Besatzungsschäden“, die außerhalb des Dienstes von Stationierungssoldaten verursacht werden, vom „Aufnahmestaat“ bezahlt werden. Gewalt gegen Frauen fällt offensichtlich auch unter diese Kategorie. Beispiel: 1983 wurden zwei britische Soldaten vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. „Schmerzensgeld“ in Höhe von 6.000 DM zahlte das West–Berliner „Landesamt für Besatzungslasten“ dem Opfer - aus bundesdeutschen Steuermitteln. In Natascha L.s Fall liegt die Sache etwas anders. Da die Tat in Frankreich geschah, muß nicht die BRD, sondern der „United States Army Claims Service“ für den „Schaden“ bezahlen. Bis heute hat Natascha L. noch keinen Pfennig von den Amerikanern gesehen. Ihre Anwältin hingegen erhielt von einem Sachbearbeiter des „Amtes für Verteidigungslasten“, der für den Claims Service den Vorschlag für die Entschädigungssumme ausarbeitet, einen wohlmeindenden Hinweis: Ihre Mandantin solle von der Presse Abstand nehmen. Die Amerikaner sähen es nicht gern, wenn das Opfer auf diese Art aktiv würde. Das könne die Entscheidung der Claims Service–Kommission negativ beeinflussen. Denn eine Entschädigungspflicht besteht für die Amerikaner nicht. Sie zahlen „ex gratia“ - aus Gnade.