Syrien sucht das Gespräch mit Libanons Christen

■ In Damaskus laufen derzeit vorbereitende Verhandlungen über ein Gipfeltreffen zwischen Syriens Präsident Assad und dem libanesischen Präsidenten Gemayel sowie ein politisches Reformprojekt, das die Macht des libanesischen Präsidenten zugunsten der bisher unterrepräsentierten moslemischen Gruppen beschneidet

Von Joseph Kaz und Petra Groll

Beirut (taz) - Nach dem Einmarsch syrischer Soldaten in Westbeirut ist die libanesische Hauptstadt zum Prüfstein für die Fähigkeit des Regimes in Damaskus geworden, dem „libanesischen Chaos“ ein Ende zu setzen. Wesentliche Bedingung ist eine Verbesserung der Beziehungen Syriens zum christlich–maronitischen Lager, namentlich dem libanesischen Präsidenten Gemayel, der die Intervention als verfassungswidrig bezeichnet hatte. Eine Wiederannäherung zwischen Syriens Präsident Assad und den libanesischen Christenparteien ist zugleich Voraussetzung für die Lösung von zwei weiteren Problemen, mit denen die syrischen Truppen in Westbeirut konfrontiert sind und die den Sicherheitsplan für Westbeirut entscheidend torpedieren können: der Präsenz der Palästinenser im Libanon, vor allem dem seit vergangenem September anhaltenden Lagerkrieg, und dem zunehmenden Einfluß der pro–iranischen Hizballah–Bewegung in den hauptsächlich von Schiiten bewohnten südlichen Vororten Beiruts. Am vergangenen Wochenende fand die nunmehr neunte Verhandlungsrunde zwischen syrischen und libanesischen Unterhändlern in Damaskus statt. Die Streitpunkte, die einer Befriedung Libanons im Wege stehen, haben sich allerdings seit mehr als einem Jahrzehnt nicht verändert. Es geht um die Machtverteilung im multikonfessionellen Levantestaat, dessen ungeschriebene Verfassung aus dem Jahre 1943 auf den damaligen konfessionellen Mehrheitsverhältnissen aufgebaut wurde, die zugleich die Klassenverhältnisse vor allem zwischen der christlich–maronitischen Oberschicht und den unterprivilegierten moslemischen Glaubensgemeinschaften berücksichtigte. Und es geht um die Beziehungen zwischen Libanon und Syrien, das mittlerweile mehr als 30.000 Soldaten vorwiegend im Norden und Osten des Landes stationiert hat. Syrien bemüht sich derzeit, den im Libanon herrschenden Maroniten Zugeständnisse in der Machtfrage abzuringen und damit seinen moslemischen Verbündeten einen größeren Einfluß auf die Regierungsgeschäfte zu sichern. Außerdem möchten die Herrscher in Damaskus mit offiziellem Einverständnis des Christenlagers der PLO und den Hizballah zuleibe rücken. Die Befürchtungen der Christen Das libanesische Christenlager mit Gemayel an der Spitze weist vor allem die Beschneidung der Macht des laut Verfassung maronitischen Präsidenten entschieden zurück. Eine paritätische Repräsentation von Christen und Moslems, sei es im Kabinett, sei es in der Nationalversammlung, würde in seinen Augen die libanesische Einheit aus den Angeln heben. Nach Ansicht eines Präsidentenberaters würde eine Einschränkung der Macht des Präsidenten bedeuten, das Zentrum libanesischer Entscheidungen von Beirut nach Damaskus zu verschieben. In der Tat bestehen zwischen fast allen libanesischen Moslemparteien und dem syrischen Regime zumindest „taktische Allianzen“. Außer Frage steht ein Einmarsch syrischer Truppen in dem von Christen bewohnten Ostteil der libanesischen Hauptstadt und dem „christlichen Hinterland“. Zwar ist analog zur Abschaffung der Milizenherrschaft im hauptsächlich von Moslems bewohnten Westteil Beiruts auch die Entmachtung der christlichen Einheitsmiliz der Phalange–Partei, der „Forces Libanaises“ (FL), vorgesehen. Deren Chef, Dr. Samir Geagea, hat am vergangenen Mittwoch bereits Einverständnis für einen Rückzug seiner Mannen aus Ostbeirut signalisiert und besteht im wesentlichen auf einer angemessenen Abfindung, die ihm auch zukünftig eine sichere Position innerhalb der Phalange–Partei garantiert. Im Ostteil Beiruts könnten dann die aus der christlichen Bevölkerung rekrutierten Einheiten der libanesischen Armee die militärische Kontrolle übernehmen. Aber Gemayel verlangt unterdessen auch den Rückzug der Sy rer aus „Großbeirut“, sobald das Problem der südlichen Vororte und der Palästinenserlager „gelöst“ ist. Die FL forderten gar einen Zeitplan für den Abzug aller syrischen Truppen aus dem Libanon. Widersprüche noch nicht ausgeräumt So sind die Widersprüche zwischen Gemayel und Assad noch längst nicht überbrückt, auch wenn allein die jüngsten Verhandlungen über ein Gipfeltreffen zwischen beiden Präsidenten einen Fortschritt bedeuten. Die Beziehungen hatten seit Januar 1986 auf Eis gelegen, nachdem Gemayel sich geweigert hatte, das „Drei– Parteien–Abkommen“ zu unterzeichnen, das Syrien als Kompromiß zwischen Schiiten–, Drusen– und Christenmilizen erarbeitet hatte. Die Maroniten hatten dieses Abkommen als „Ende des Christentums im Libanon“ bezeichnet, „dem einzigen Land im Nahen Osten, wo das Christentum wenigstens noch einen Anteil an der Regierung hat“. Die derzeitige Situation im Libanon bietet Gemayel zweifellos Vorteile. Assads Erzfeind, PLO– Chef Arafat, konnte wieder an Einfluß in der libanesischen Szene gewinnen, die Macht der pro–iranischen Schiiten ist gewachsen, die moslemischen Alliierten des syrischen Regimes versuchten ihre politischen Widersprüche einmal mehr militärisch auszufechten, und obendrein hängte die westliche Welt Syrien eine entscheidene Rolle im „internationalen Terrorismus“ an. Auch die BRD mischt mit Der Vatikan, Frankreich, Italien, die Bundesrepublik, Saudi– Arabien, Algerien und Jordanien signalisierten ihre Unterstützung und beteiligten sich an den verschiedenen Verhandlungsschritten zwischen Damaskus und Beirut. Dies geht auf Aktivitäten Gemayels zurück, der Syrien nicht allein die Allmachtposition überlassen will, als einzige Kraft eine Lösung der libanesischen Krise in der Hand zu halten. Auch Präsident Assad ließ die Zeit nicht tatenlos verstreichen. Er sandte seine Truppen nach Westbeirut und erklärte kürzlich knallhart, daß „zweifellos eine Lösung der libanesischen Krise von außerhalb der Staatsgrenzen kommt, und zwar aus Syrien“. Schafft er es, dem Einfluß der PLO und den pro–iranischen Integristen im Libanon ein Ende zu setzen, so kann er sich sicher sein, daß auf internationaler Ebene kein allzu heftiger Widerspruch gegen seine militärische Intervention erfolgt. Dennoch kann der Erfolg dieses neuen Versuchs, mit Hilfe der „Pax Syriana“ eine Lösung der libanesischen Krise durchzusetzen, bezweifelt werden. Schließlich ist dies nicht der erste derartige Schritt. 1976 wurde der erste große Trupp syrischer Soldaten im Libanon stationiert. 1983 und 1984, bei den libanesischen Verhandlungen in Genf und Lausanne, spielten die Syrer eine entscheidende Role, 1986 schließlich scheiterte auch das „Drei–Parteien–Abkommen“. Die Mehrheit der Libanesen, besonders aber die Christen, sind indessen überzeugt, daß Syrien niemals wirklich Interesse an einem souveränen Libanon hatte. Sie weisen Syrien einen großen Teil der Verantwortung für die Dauer des Bürgerkrieges zu. Vor allem der syrischen Armee wird nicht gerade mit Bewunderung begegnet. Wer hätte schließlich vergessen, daß gerade diese Armee an der schrittweisen Zerstörung der Souveränität und der verschiedenen Landesteile beteiligt war. 1976 waren es die Berggebiete der Drusen und Westbeirut, 1978 verschiedene Orte des „christlichen Hinterlandes“, 1981 marschierten die Syrer in die Christenstadt Zahle in der Beqaa–Ebene ein, 1985 in die nordlibanesische Sunnitenstadt Tripoli. Und den Soldaten der syrischen Armee wird ein nicht weniger brutaler Umgang mit der Zivilbevölkerung nachgesagt als den verschiedenen libanesischen Milizen. Das Projekt „Großbeirut“, die Wiedervereinigung der geteilten libanesischen Hauptstadt, wird nun zur Meßlatte für die guten Absichten und das tatsächliche Vermögen Syriens, das Wunder zu vollbringen, die seit Jahrzehnten zerstrittenen libanesischen Parteien wiederzuvereinigen.