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Neues Denken, neue Praxis

■ Zum Kongreß der sojwetischen Journalisten

Es muß schon verdammt schwierig für die 85.000 sowjetischen Journalisten sein, ihre Situation noch zu verstehen. Da verlangt der Parteichef die Propagierung seiner politischen Linie, indem er nicht nur die vorausgehende Politik verdammen läßt, sondern sie in dem eigenständigen Schreiben, Recherchieren und Enthüllen von Mißständen materialisiert sieht. An was soll sich denn noch derjenige halten, dessen Berufsethik dadurch geprägt ist, den geneigten Leser die vom ZK beschlossene Politik zu erklären und kundzutun? Wenn noch vor vierzig Jahren ein falsches Wort die strengste Strafe nach sich ziehen konnte, was wird es dann heute bringen? Wer in den sowjetischen Journalisten nur Opportunisten sieht, vergißt die Wirklichkeit ihrer Erfahrung. Wenn nun die Stars der sowjetischen Journalistenzunft, wie der Iswestja–Kommentator Alexander Bowin, die Trennung von redaktionellem Kommentar und der Darstellung der Regierungspolitik verlangen, so sind jetzt Vorschläge auf dem Tisch, die strukturell etwas verändern können. Erst wenn sie verwirklicht sind, werden auch andere, „die es nicht gewohnt sind, sich offen zu äußern“, wie es Prawda–Chef Afanasjew ausdrückte, ihren Kopf aus dem Fenster hängen. Bislang sucht die Reform noch ihre Akteure. Doch der Anfang scheint gemacht. Gorbatschows neue Offenheit steht und fällt mit der Berichterstattung in den Medien. Der Parteichef fordert von den Journalisten weit mehr als von anderen gesellschaftlichen Bereichen: Das Neue Denken muß sich in der Praxis erweisen. Erich Rathfelder

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