Verramschte Gefühle, Hauptsache in Moll

■ Peter Schneider soll in seiner neuen Erzählung „Vati“ von der Bunten abgeschrieben haben / Ein Bericht über den Fall und eine Rezension

Nachdem im Spiegel vor einer Woche Gerda Marie Schönfeld nicht nur einen im Detail ätzenden Verriß über Peter Schneiders neue Erzählung „Vati“ geschrieben hatte, sondern dies unnötigerweise mit dem Vorwurf des Plagiats verknüpfte, kann weder über das Buch noch über die sich daran knüpfende Auseinandersetzung hinweggegangen werden - leider. Die Rezensentin des Spiegel hatte en detail nachgewiesen, daß Peter Schneider zum Teil wörtlich aus einer Exklusiv–Serie der Burda–Illustrierten Bunte mit und über Rolf Mengele und seinen Vater, den Nazi– Massenmörder, abgeschrieben hatte, ohne dies auch nur an einer einzigen Stelle seiner Erzählung deutlich gemacht zu machen. Der Plagiatsvorwurf hat inzwischen dazu geführt, daß das Buch erst einmal nicht wie geplant aus geliefert werden konnte. Prompt hatte der Burda–Verlag auf die Rezension reagiert und vorläufig einen Riegel vor die Auslieferung des Buches geschoben. Der Offenburger Großverlag will - so ließ er inzwischen verlauten - nur dann nichts gegen eine Auslieferung der Schneider–Erzählung unternehmen, wenn sämtliche Gewinne aus dem Buch einer jüdischen Hilfsorganisation zuflie ßen. Schneiders Verlag, Luchterhand, würde wohl gerne darauf eingehen, aber der Autor legte sich quer: Er wolle sich keinen Honorarverzicht „ausgerechnet“ von Burda aufzwingen lassen. Dann würde er lieber auf die Veröffentlichung des bereits gedruckten Bändchens verzichten. Ohne akribisch aufzulisten: Schneider hat aus der Bunten im Wesentlichen Zitate aus dem Briefwechsel zwischen Vater und Sohn Mengele übernommen. Insgesamt sind es zwei oder drei Seiten seiner 82 Seiten umfassenden Erzählung. Und natürlich kann ihm niemand das Recht ernsthaft bestreiten, aus solchen Briefen zu zitieren, sie als Rohmaterial zu benutzen. Es wäre makaber, wenn die Bunte oder der Mengele– Sohn etwa Urheberrechte an dem Briefwechsel geltend machen wollten - haben sie bisher wohl auch noch nicht getan. Schließlich ist dieser Briefwechsel - Bunte hin, Bunte her - ein Dokument der Zeitgeschichte. Insofern ist der Plagiatsvorwurf unhaltbar. Nur, warum fehlt der Hinweis in Schneiders Erzählung, daß er Mengele und Sohn und auch die Briefe als Material verwandte? Hätte er ihn nicht ohne Not in einer Fußnote unterbringen können? Man kann darüber nur spekulieren. Vielleicht wäre dann von vornherein allzu deutlich geworden, wie peinlich die ganze Erzäh lung unabhängig vom Plagiatsvorwurf ist. Seine literarische Operation bestand zunächst einmal darin, den Sensationsfall Mengele zum Generationskonflikt zu verallgemeinern, indem er die Hauptpersonen, Vater und Sohn, anonymisierte. Dadurch konnte er relativ gefahrlos in die Rolle des Sohnes schlüpfen, als Ich–Erzähler. Im groben Gerüst seiner Erzählung hat er sich dann aber doch an die Mengele–Story gehalten. Alle biographischen Daten sind bestenfalls leicht verfremdet. Die mit Mengele befreundete Familie in seiner Erzählung heißt Weinert, in Wirklichkeit waren es zwei; die hießen Bossert und Stammer. Aus Mengeles Adresse in Sao Paulo, Alvarenga 5555, wo der Sohn ihn 1977 besuchte, wird in Schneiders Erzählung die Rua Alguem 5555. Viele solcher Beispiele ließen sich aufzählen. Schneider bestreitet gar nicht, den Mengele–Fall zur Grundlage seiner Erzählung gemacht zu haben, war sich aber „keines Unrechts bewußt“. Naivität kann man ihm vorwerfen, genauso wie die aus der Anonymisierung zwangsläufig folgende unkorrekte Zitierweise der Briefe. Gravierend ist aber etwas anderes. Wie nutzt Schneider die Vorteile der Fiktion, wie präzisiert er seine Charaktere? Etwa wenn der Ich–Erzähler, der Sohn, einem großen, alle um Haupteslänge überragenden „Mädchen“ durch die Straßen des Elendsviertels hinterherläuft: „... konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, nur ihren dunklen Nacken und ihre nassen, bis zum Oberschenkel nackten Beine. (...) In ihrer linken Hand trug sie eine uralte Reiseschreibmaschine. Das nackte, von Schlammspritzern bedeckte Frauenbein, daneben das unwahrscheinlich sperrige Schreibgerät, das manchmal, wenn ein Passant zu nahe kam, gegen ihre Knie schlug - beides wirkte auf mich wie ein Zeichen, und so hastete ich, ohne Ziel, hinter ihr her.“ Was wird mit dieser Ausschweifung charakterisiert? Gewinnt dadurch die Beschreibung des Sohnes, der Opfer dieses Vaters ist und wohl auch sein muß, an Konturen? Im Gegenteil, sein Bild verschwimmt. Und überall da, wo Schneider der tatsächlichen Geschichte Eigenes hinzufügt, wirds beliebig. Und wie erst der Ich–Erzähler die Zeit seiner Jugend beschreibt, in der er noch nicht wußte, wessen Vaters Sohn er war, und doch wohl schon etwas ahnte: „Stundenlang bin ich durch die Wälder gerannt und empfand nichts als Ekel vor dem saftigen Grün, dem süßen, klebrigen Saft der Linden. Immer dieses Gefühl, daß die Bäume lügen, das Gras lügt, der Himmel lügt.“ Die Dumpfheit und Schwermut, die in solchen Sätzen voll linker Melancholie formuliert wird, ist doch nichts anderes als säuerlicher Kitsch. Charakteristisch für die Ungenauigkeit Schneiders die Stelle mit dem Streichquintett: „Ruhiger wurde ich, wenn ich Musik hörte, immer dieselbe Musik, das Streichquintett von Brahms, c– Moll, glaube ich.“ Von Brahms gibt es ein Streichquintett in F–Dur und eins in G–Dur, bei Schneider muß es Moll sein. Ungefähr so ist die ganze Erzählung. Auch die Reflexionen über den Generationenkonflikt, der ja wohl auch Peter Schneiders ist, die Konfrontation der Kinder mit ihren Vätern, die Nazi–Mörder waren oder Mitläufer, fließen in die Erzählung fast nur (noch) als Schablone ein. Ein Beispiel: „Aber ich mußte in jener Sekunde eines begreifen; wir sind, wie immer wir uns dazu verhalten, die Söhne und Töchter der Täter, wir sind nicht die Kinder der Opfer.“ Verramschte Gefühle hat Benjamin sowas genannt. Die Erzählung mußte mißlingen. Allein schon deshalb, weil er den Sohn nur als Folie benutzt, als Projektionsfläche für die eigene Biographie. Schneider ist in die Haut von jemandem geschlüpft, für den er sich als konkrete Person gar nicht interessierte. Er hat umgekehrt auch nicht die Maske des anderen genutzt, um wirklich über sich selbst zu schreiben. Die Aufregung darüber, daß er abgeschrieben hat, kann davon nur ablenken. Max Thomas Mehr