Der Betrug mit dem Betrug

■ Vieles spricht dafür, daß der angebliche Devisenbetrug bei VW tatsächlich ein Managementfehler ist

Noch fahndet die Staatsanwaltschaft emsig nach dem Millionenbetrüger, doch viel Hoffnung, den Dieb bald präsentieren zu können, gibt es wohl nicht. Das kann einen ganz einfachen Grund haben: Wo es keinen Betrug gibt, gibt es keinen Betrüger. Denn immer mehr verdichten sich die Hinweise, daß mit dem Ruf „Haltet den Dieb“ schlicht von selbstverschuldeten Managementfehlern abgelenkt werden soll. VW hatte es offenbar unterlassen, sich gegen einen Dollarverfall abzusichern.

Über „Ethik im wirtschaftlichen Handeln - Zwang oder Verpflichtung“ sollte ein Domprediger bei VW dozieren - anläßlich des 50 millionsten Volkswagens, der dieser Tage vom Band läuft. Daraus wird nun nichts, die Feier ist abgesagt „aus gebotenem Anlaß“, wie der Konzern in seinem Ausladungsschreiben an die verhinderten Gäste schreibt. Konzern und Pressestelle des Konzerns täten gut daran, sich von dem Gottesmann stattdessen einmal über die Ethik der Öffentlichkeitsarbeit erzählen zu lassen. Vieles deutet nämlich darauf hin, daß der bundesdeutsche Renommierkonzern derzeit versucht, durch gezielte Desinformation den Verdacht eines Riesenkriminalstücks im Hause zu inszenieren, während es sich in Wahrheit um eine beispiellose Management–Schlamperei handelt. Der exklusive Wirtschaftsinformationsdienst Platow Brief weiß in seiner gestern erschienenen Ausgabe von einem Grundsatzbeschluß im Wolfsburger Konzern zu berichten, der jegliche Absicherung zu erwartender Dollareinkünfte gegen Kursschwankungen unterbindet (siehe nebenstehender Artikel). Dieser Be schluß habe bis zur Aufsichtsratssitzung am 21. November gegolten, als man „unter der Wucht schrecklicher Verluste“ aufgrund des Dollarkursverfalls „das Ruder in der Devisenpolitik grundsätzlich herumgeworfen“ habe. Insofern stiften die jetzigen Vorwürfe des Konzerns gegen Unbekannt nur Verwirrung. In der Strafanzeige heißt es, betrügerische Elemente hätten der Konzernspitze mit gefälschten Dokumenten vorgegaukelt, die Devisenpositionen seien durch Terminkontrakte abgesichert. Als man sie nun einlösen wollte, habe man die Fälschungen entdeckt und die bittere Wahrheit schlucken müssen, daß der Konzern Verluste entsprechend dem Dollarkursschwund erlitten habe. Bei Forderungen von zwei bis drei Milliarden kommen da leicht 480 Millionen Mark Verlust zusammen. Das Motiv der persönlichen Bereicherung hätte dann eine Rolle gespielt haben können, wenn die genannten kriminellen Elemente auf einen steigenden Dollarkurs gesetzt hätten: Wäre der Dollar im letzten halben Jahr um fünfzig Pfennig teurer geworden, hätte der Betreffende mit den dann anstehenden VW–Dollareinnahmen - so er persönlich als Konzern– Devisenhändler darauf Zugriff hat - zu einer beliebigen Bank zum Umtausch gehen und die fünfzig Pfennig pro Dollar dabei für sich einstreichen können. Dem Konzernchef zu Hause hätte er indessen, mit dem Geldkoffer unterm Arm, erzählt, er müsse bei der Hausbank die Dollareinnahmen leider zu dem seinerzeit vereinbarten Terminkurs verkaufen, der unter dem inzwischen angestiegenen Kurs liege. Soweit die mögliche Spekulation. Das ganze konnte so nicht laufen, weil bekanntermaßen der Dollarkurs nicht gestiegen, sondern gefallen ist. Bezeichnenderweise ist diese Motivtheorie von VW nie explizit entwickelt worden, trotzdem hat der Konzern es geschafft, daß die Betrugsthese in der breiten Öffentlichkeit akzeptiert wurde. Der Platow Brief, der bereits im vergangenen November über Devisenschieflagen bei VW berichtete, bringt nun das gesamte Gebäude des Betrugsvorwurfs zum Einsturz. Für ihn handelt es sich um eine „Flucht nach vorn“ des Konzerns, die er angesichts des anstehenden Besuchs der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Treuarbeit antreten mußte, denn Ende April will der Aufsichtsrat die Bilanz für 1986 feststellen. Der Staatsanwalt sei seit dem 18. Februar im Haus, und habe bis dato keinen Betrug im Sinne einer persönlichen Bereicherung feststelen können. Platow bezweifelt auch, „daß die Ermittlungen zu einem anderen Ergebnis kommen“. Manipulationen von Unterlagen (an Magnetbändern usw.) räumt auch Platow ein, jedoch nur bei Nebensächlichkeiten und keinesfalls zur persönlichen Bereicherung: „So wurde nach meinen Informationen das Unternehmen zwar nicht betrogen, doch der Vorstand über den wahren Sachverhalt der Schieflage getäuscht.“ Dies könnte darauf hindeuten, daß der angebliche Hintermann, der im Februar über seinen Rechtsanwalt einen vergeblichen Geständnisversuch bei VW–Aufsichtsratschef Rathje gestartet hatte, eher über Vertuschungen von Fehlverhalten denn über Betrügereien auspacken wollte. Als Fehlverhalten käme da zum Beispiel in Betracht, daß VWs Chefdevisenhändler Junger sich Ende 1986 nicht an die neue Direktive des Aufsichtsrates gehalten habe, ab sofort alle Dollarpositionen abzusichern, worauf Platow verweist. So habe er noch im November ein ungesichertes Devisengeschäft mit einer amerikanischen Bank abgeschlossen, was den Konzern allein 75 Millonen Dollar gekostet hätte. Wenn VW–Vertreter jetzt bei der Dependanze der ungarischen Nationalbank in Frankfurt mit gefälschten Belegen einen Dollarterminvertrag einlösen wollte, so führt Platow dies darauf zurück, daß der Frankfurter Devisenmakler Schmidt, mit dem VW einen Teil seiner Devisengeschäfte abwickelte, „einmalige Freiheiten“ hatte: Er durfte auf den Formularen der ungarischen Notenbank Geschäfte abwickeln, was nun offenbar zu Unklarheiten bei der Rechtsgültigkeit führte. Als Beweis dafür, daß VW keinem Betrug, sondern Mißmanagement zum Opfer gefallen ist, führt der Platow Brief auch Staatssekretär Voss vom Bundesfinanzministerium an, der am 6. November erklärt hatte: „Der VW–Vorstand hat mir mitgeteilt, daß das Unternehmen keine Termin bzw. Kurssicherungsgeschäfte tätigt.“ Den Widerspruch zwischen diesen damaligen Erklärungen und der jetzigen Öffentlichkeitskampagne des Konzerns konnte VW–Pressesprecher Witzel auf Anfrage der taz auch nicht aufklären. Auch seine Worte deuten vielmehr darauf hin, daß sich VW schlicht durch Fehlspekulation um die Schadenssumme von 480 Millionen DM gebracht hat: „Wenn man alle Positionen kurssichert, begibt man sich um die Chance von Windfall–Profits“, womit er sagen wollte, daß der Verzicht auf eine Kurssicherung bei steigendem Dollarkurs Millionen hätte einbringen können. Lange Zeit ging dies auch gut: „Als der Dollar angestiegen ist, haben uns alle beglückwünscht.“ Immerhin gibt Witzel damit aber auch zu, daß der VW–Konzern hier Geschäfte betreiben wollte, die normalerweise das Metier von Banken sind - ganz abgesehen davon, daß es auch Terminoptionsgeschäfte gibt, mit denen man sich einerseits absichern, andererseits aber auch mögliche Windfall–Profits bei etwa steigendem Dollarkurs einstreichen könnte. Ulli Kulke