Mütterfrust gegen Emanzen

■ Neue Mütterlichkeit bei den Grünen / „Bundesarbeitsgemeinschaft Mütter“ soll eingerichtet werden Kampf um neue politische Strukturen richtet sich nicht gegen Männer, sondern gegen Feministinnen

Von Claudia Pinl

Fünf Jahre ist es her, seit Norbert Blüm (CDU) seine „Neue Mütterlichkeit“ verkündete und in der eigenen Partei Schiffbruch mit seinen sentimentalen Thesen erlitt. Nun bricht eine „Mütterlichkeits“–Welle über die Grünen herein. Ein Mütterkongreß im November 1986 und ein vor einigen Tagen in Bonn veröffentlichtes „Mütter–Manifest“ sind Versuche, in der grünen Frauenpolitik neue Akzente zu setzen. Das Thema ist nicht frei von Emotionen. Altfeministinnen warnen mit schneidender Stimme vor der Aufspaltung von Frauen in Mütter und „Nichtmütter“. Die Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer will dagegen mit der neuen Mütterlichkeit eine „Etappe der Elitebildung“ in der grünen Frauenpolitik hinter sich lassen. Um was geht es? „Ganz und gar grundsätzliche Veränderungswünsche an die Strukturen von Familie, Nachbarschaft, Beruf, Öffentlichkeit und Politik“ haben die Unterzeichnerinnen des Müttermanifestes, unter ihnen die grünen Politikerinnen Gisela Erler, Gaby Potthast und Christa Nickels. „Die Logik der Kneipe, des Betriebs oder gar der traditionellen Politik“ soll abgelöst werden durch eine „Gesellschaft, die Kinder an der Hand zuläßt“, durch Nachbarschafts– und Mütterzentren, gemeinsame Mittagstische, Eßkasinos und Kinderbetreuung „an jeder Straßenecke, in Kaufhäusern, Behörden und Parlamenten“, durch ausreichende Bezahlung von Kinderbe treuung und Altenpflege, durch Arbeitszeitverkürzung und Öffnung von Berufswegen für ältere Frauen. Mit den Politikformen der grünen Partei wird gründlich abgerechnet: „Arbeitsformen müssen endlich Müttern angepaßt werden! Drastische Arbeitszeitverkürzungen im Funktionärsbereich, Teilung von Stellen, auch Mandaten, z.B. im Bundesvorstand. Der Frauen– und Mütterbereich hat Vorreiter– und nicht Nachzüglerfunktion. Keine Beschlüsse nach 23.00 Uhr... Eine neue Sitzungskultur, weniger Formalien, mehr Inhalt, weniger Treffen und Kongresse an ganzen Wochenenden...“ Bei den Grünen isoliert Eine Menge Frust von Frauen mit Kindern kommt da hoch, Zorn und Wut darüber, ausgerechnet in dieser grünen Partei isoliert zu sein, die einmal angetreten war, nicht nur die Inhalte, sondern auch die Formen von Politik zu ändern. Es ist die Wut von Frauen, die sich - ob freiwillig oder nicht - mehr um Babybrei und die Beseitigung von Schmutzwäsche gekümmert haben als um den neuesten Sachstand beim Umbauprogramm oder dem Antidiskriminierungsgesetz. Aber merkwürdigerweise richtet sich die Wut nicht gegen die Männer dieser Partei, die ja - Quotierung hin, Reißverschlußprinzip her - immer noch das Sagen haben und die „Logik der Kneipe und der traditionellen Politik“ nicht schlecht vertreten. Die Aggressionen richten sich vielmehr gegen Frauen, gegen „Nichtmütter“ und gegen Feministinnen, die allen Widerständen zum Trotz versuchen, in der grünen Partei Politik zu machen. Während sich die Männer entspannt zurücklehnen, um diesen neuesten Weiberclinch zu bestaunen, richtet sich der Mütterfrust gegen grüne Feministinnen wie Christa Merkel vom Bundesvorstand und gegen die Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen (BAG). Vor allem die BAG– Frauen kriegen ihr Fett ab. Doro Paß–Weingartz, grüne Ratsfrau zu Bonn, wirft ihnen vor, sie hätten einen sektiererischen Begriff von Emanzipation, der nur Arbeit außer Haus gelten lasse. Weil die BAG die Mütter und ihre Anliegen ausgegrenzt habe, müsse jetzt eine zusätzliche „Bundesarbeitsgemeinschaft Mütter“ her. Der Bundeshauptausschuß der Grünen, mit diesem Wunsch konfrontiert, hat bereits Ablehnung signalisiert. Die „Mütter“ (MdBs, Soziologinnen mit und ohne Kinder, aktive grüne Politikerinnen aller Ebenen) drängen daher an die Öffentlichkeit, haben Anfang März ihr Manifest vorgestellt und wollen die grüne Basis bis hin zur Bundesdelegiertenkonferenz für ihr Anliegen einer separaten Organisation erwärmen. Aquarium der Karrierefrauen? Das „Ghetto der Nichtmütter“ und das „Aquarium der Karrierefrauen“ (Manifest) gelte es mit einem neuen Emanzipationsbegriff zu überwinden, „in dem die Inhalte traditioneller Frauenarbeit, d.h. die Versorgung von Personen, Wahrnehmung sozialer Bezüge, Hinterfragung von sogenannten Sachzwängen als legitime Werte integriert sind“. Hauptvorwurf an die grüne Frauenpolitik ist, sie habe die Erwerbszeit einseitig betont, mit dem Antidiskriminierungsgesetz und der Quotierungsforderung die kinderlose, unabhängige, qualifizierte Frau bevorzugt und deren Anpassung an die Männerwelt gefördert. Vor allem die Münchner Soziologin Gisela Erler, die sich wie einige andere Mentorinnen der neuen Bewegung durch Mutterschaft nicht davon abbringen ließ, Karriere zu machen, kritisiert die grüne Antidiskriminierungspolitik hart: damit sei die „ökologische Gesamtsicht der Frauenfrage gründlich mißglückt“ (Erler im Spiegel Nr. 51 / 1986). Umgekehrt ist der Hauptvorwurf der grünen Feministinnen an die Mütter, daß sie die bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse ignorieren. Vor allem, daß sie an der Arbeitsteilung nach Geschlecht, die Frauen nach wie vor zwei Drittel der gesamtgesellschaftlichen Arbeit zuweist (die gesamte Haus– und Familienarbeit plus ein Drittel der Erwerbsarbeit) nicht rütteln. Das „Manifest“ weist diesen Einwand zurück: „Wir sind es, die täglich die Auseinandersetzung mit Männern über ihre Unterstützung im Alltag führen und hartnäckig ihren Anteil einfordern.“ Auch Gisela Erler fordert eine „andere Mixtur von Reproduktions– und Erwerbsbereich“. Sie und ihre Kollegin Monika Jaeckel vom Deutschen Jugendinstitut wollen das freilich nicht durch Umverteilung der Arbeit, sondern durch „Umwertung“, das heißt durch Abwertung der Erwerbsarbeit und durch Aufwertung der „bunten und lebensfrohen Welt“ der Mütter und ihrer Kinder. Erst nach einer solchen Umwertung, die auch mit konkreten Geldforderungen für Reproduktionsarbeit verbunden ist, könnten auch Män ner „Lust und Laune“ bekommen, sich diesem Bereich zu nähern. Warten auf „Lust und Laune“ der Männer? Angesichts der realen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, angesichts der täglichen Männergewalt und der zunehmenden Armut von Frauen erscheint dieses Warten auf die „Lust und Laune“ der Männer den Feministinnen verständlicherweise naiv bis gefährlich. Die neue grüne Mütterlichkeit wird noch eine Menge Staub aufwirbeln. Und zwar deshalb, weil ihre kulturrevolutionären Forderungen und rebellischen Kampfansagen gegen die männlich dominierte Konkurrenz– und Leistungsgesellschaft vor allem auf dem Papier stehen, während sich der tatsächliche Kampf unter Frauen abspielt. Das haben die Auseinandersetzungen auf dem Mütterkongreß, bei der BAG Frauen und nach der Veröffentlichung des Manifests gezeigt. Frauen werfen sich gegenseitig ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe vor, fühlen sich bedroht. Die einen, weil sie sich und ihre Situation in der grünen Partei nicht aufgehoben fühlen, die anderen, weil wieder mal die „Mutter“ hochstilisiert wird und andere Frauen als „Nichtmütter“ abqualifiziert werden.