Ägypten: „Schweigen ist keine Lösung“

■ In Ägypten hat nach Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen Fundamentalisten und christlichen Kopten eine öffentliche Debatte über religiös motivierte Unruhen begonnen / Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen gab es die erste Tote / Gerüchte erhitzen die Gemüter / Presse fordert Aufklärung

Von Petra Groll

Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen haben die Auseinandersetzungen zwischen radikalen und sunnitischen Fundamentalisten und christlichen Kopten am vergangenen Wochenende in Ägypten die erste Tote gefordert. Badreya Youssef starb in dem kleinen Dorf Shobas al Shohadah im Nildelta in einem brennenden Gebäude. Das Feuer haben empörte Fundamentalisten, in Ägypten Moslembrüder genannt, gelegt, weil sie dem koptischen Besitzer vorwarfen, das Haus als Kirche zu nutzen. Die Häufung derartiger Vorfälle seit einem Monat hat unterdessen in Ägypten eine Debatte über religiös motivierte Unruhen ausgelöst, die bisher nicht öffentlich geführt wurde. Staatspräsident Hosni Mubarak höchstpersönlich appellierte an seine Landsleute, sich gegen die „konfessionelle Zersplitterung“ zu wenden und die Verantwortlichkeit für ein friedliches Nebeneinander der religiösen Gemeinschaften nicht allein den Behörden des Landes zu überlassen. Innenminister General Zaki Badr warnte, die Polizei werde gegen die Verantwortlichen der Unruhen vorgehen und weder Geduld noch Nachsicht gegenüber jenen üben, die die nationale Einheit des Landes gefährdeten. Die Polizei, insbesondere die Internen Sicherheitskräfte (ISF), die zur „Aufstandsbekämpfung“ eingesetzt werden, hatte jüngst mit den teilweise äußerst handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Moslembrüdern und Kopten (siehe Kasten) reichlich zu tun. Ende Februar brannte in der oberägyptischen Stadt Sohag eine Kirche, und auf dem Universitätsgelände von Sohag, Beni Suef, Minie, Assiut und Al–Fayioum löste die ISF mehrfach Demonstrationen auf und verhinderte Schlägereien zwischen koptischen Studenten und Anhängern der Moslembrüder, die mit Schlagstöcken und Eisenketten ausgerüstet auf den Campus eingedrungen waren. Bei zahlreichen Versammlungen und Demonstrationen in verschiedenen Städten Ägyptens bleiben umgeworfene Autos, ausgeplünderte Geschäfte und zerborstene Scheiben auf den Schauplätzen zurück. Am Wochenende gab der Innenminister bekannt, insgesamt seien 188 zumeist junge Leute festgenommen und verhört worden. Die meisten seien mittlerweile auf freiem Fuß. Ein folgenreicher Kurzschluß Auslöser der neuerlichen Spannungen zwischen den Moslembrüdern und den Kopten, die gut zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, war der Brand einer kleinen, aus Holz gebauten Moschee in Sohag gewesen, der laut Polizeiberichten durch einen Kurzschluß ausgelöst wurde. In Sohag aber kursierte das Gerücht von Brandstiftung. Eine Kirche ging in Flammen auf, und nach dem nächsten traditionellen Freitagsgebet der Moslems konnte die ISF nur mit Mühe verhindern, daß eine aufgebrachte Demonstration eine weitere Kirche ansteckte. Mittlerweile einigten sich eine Regierungsdelegation aus Kairo und lokale religiöse Verantwortliche darauf, daß sowohl die Kirche als auch die Moschee auf Regierungskosten wiederhergerichtet werden. In Windeseile tauchten in der Folgezeit landesweit sagenhafte Gerüchte über die feuerfesten Kruzifixe der Kopten auf, und es ging die Kunde, daß Kopten verschleierte moslemische Frauen mit einem Puder bestreuten, das sie unsichtbar mache. In der Oase Al–Fayioum, 130 Kilometer südlich der Hauptstadt Kairo, hieß es Mitte März, Kopten würden verschleierten Frauen Kreuz–Symbole auf die Gewänder sprühen. Nach einer wilden Demonstration wurden 45 Studenten festgenommen. In Kairo selbst wurden die Anti– Riot–Truppen eingesetzt, um eine Schlägerei zwischen Studenten und Bediensteten einer technischen Fachhochschule zu beenden. Die Angestellten hatten einer Frau gewaltsam den Schleier heruntergerissen und anderen Studentinnen den Zutritt zum Schulgelände verweigert. An verschiedenen Schulen und Universitäten fordern moslemische Studenten seit geraumer Zeit nicht nur, daß ihre Komilitoninnen sich verschleiern sollen, sondern auch, daß in den Vorlesungssälen Zwi schenwände zwischen den Sitzreihen eingerichtet werden, damit Frauen und Männer voneinander getrennt lernen. Nachdem mit der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al Sadat die Weltöffentlichkeit auf den zunehmenden Einfluß der radikalen Moslems in Ägypten aufmerksam geworden war, hört man immer wieder von Unruhen kleineren Ausmaßes. In der Regel sind es die koptischen Christen, die Ziel der Attacken werden. Besonders die Universität von Assiut, einst berühmt für seine reiche koptische Oberschicht, ist zur Festung des sunnitischen Fundamentalismus geworden, seit 1985 die Moslembrüder die Mehrheit im Studentenparlament für sich verbuchen konnten. Verschwörungstheorien überzeugen nicht mehr Über die Jahre hatte sich - mit Unterstützung der Regierung - in den Medien des Landes die These gehalten, diese Unruhen seien von fremden Geheimdiensten, je nach Opportunität Agenten des Irans, Israels oder Libyens, angezettelt worden. Damit wurde jede Diskussion im Keim erstickt. Neuerdings findet diese Diskussion auf den Titelseiten und in den Editorials der ägyptischen Zeitungen statt. Selbst die halbamtliche Tageszeitung Al–Ahram beschäftigte sich mit dem Thema und zitiert den Brief eines prominenten Kopten, der von der Angst seiner Bekannten berichtet, sich überhaupt noch zu ihrem Glauben zu bekennen. Er kritisiert jedoch gleichzeitig die regierende National–Demokratische Partei, die für die Parlamentswahlen am 6. April von insgesamt 448 Plätzen nur sieben mit koptischen Kandidaten besetzte. Die Regierungszeitung Al– Akhbar veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom vorletzten Wochenende gar einen regelrechten Hilferuf an Politiker, Intellektuelle, Journalisten und Künstler, die herrschende Sprachlosigkeit endlich zu durchbrechen und in der Öffentlichkeit Aufklärungsarbeit zu leisten. „Schweigen ist keine Lösung“, hieß es. Die politischen Machthaber sollten sich nicht nur um die kommenden Wahlen scheren, sondern sich auch mit den religiösen Unruhen auseinandersetzen, die zunehmend die nationale Einheit des Landes bedrohten. Polizei und Ermittlungsbehörden hätten weder verdächtige Ausländer noch verdächtig hohe Geldsummen entdeckt, die auf eine Organisation der Unruhen von außen schließen ließen. Sollten also, so fragte das Regierungsblatt weiter, vielleicht doch soziale Probleme Ursache der Unruhen und Spannungen im Lande sein? Auch Innenminister Badr stellte am vergangenen Wochenende fest, daß die Unruhen nicht auf die Steuerung und Finanzierung von außen zurückzuführen, sondern durch Gerüchte und Propaganda entfacht worden seien. Die Wochenzeitung Al– Ahali, Sprachrohr der Nationalen Progressiven Vereinigungspartei (NUPP) verurteilte die Unruhen zwischen Moslems und Christen aufs Schärfste und wies darauf hin, daß gerade vor den Wahlen die Furcht der Regierung Mubarak vor jeglicher politischer Opposition offensichtlich werde. Die Partei, eine Art Sammelbecken für Linksoppositionelle, sieht sich derzeit mit einer Hetzkampagne gegen Ex–Mitglieder der ägyptischen Kommunistischen Partei konfrontiert, die nach dem Verbot ihrer Organisation in den Verbänden der NUPP mitarbeiten. In den vergangenen Wochen sind mehrfach Wohnungen durchsucht und NUPP–Mitglieder wegen „regierungsfeindlicher Propaganda“ festgenommen worden. Ihnen wird vorgeworfen, eine „Terror–Organisation“ aufgebaut zu haben. Die koptisch–orthodox orientierte Tageszeitung Al–Watani schließlich beschwor Anfang letzter Woche die Öffentlichkeit, in entspannter Atmosphäre über die Probleme zu diskutieren. Es sei längst keine Lösung, eine abgebrannte Moschee oder Kirche durch ein neues Gebäude zu ersetzen.