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Mitterand befiehlt - die Sozialisten gehorchen

■ Der Parteitag der französischen Sozialisten unterwarf sich bedingungslos den Vorgaben des abwesenden Präsidenten Mitterand / Dessen Entscheidung über die erneute Kandidatur ist noch immer nicht gefallen / Keinerlei Kritik an der Regierungspraxis der letzten Jahre

Aus Lille Georg Blume

Der Chef war wieder nicht dabei. Seit er der „Präsident aller Franzosen“ ist, bleibt Franois Mitterrand den Parteitagen seiner Sozialistischen Partei (PS) fern. Sorgen brauchte sich Mitterrand nie zu machen. Seit 1981 waren die Parteitage der PS - in den siebziger Jahren noch von den harten ideologischen Auseinandersetzungen der Parteiflügel geprägt - zu Ovationsveranstaltungen für die Regierungspolitik der Sozialisten verkommen. Nun traf die Partei zum ersten Mal seit sieben Jahren als Opposition zusammen. Würde sie sich in Lille von einer neuen Seite zeigen können? Franois Mitterrand gab die Antwort bereits eine Woche zuvor. In einem eineinhalbstündigen Fernsehinterview zeichnete der Präsident das Portrait des soziali stischen Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen im Mai 1988 vor. Als Vater der Nation und Verteidiger der „Cohabitation“ setzte er sich über die traditionelle Links–Rechts–Kluft hinweg und erklärte eine einzige Absicht: er wolle die Franzosen „zusammenführen“. Natürlich bedurften die Absichtserklärungen in Lille eines anderen Tonfalls. Hier kritisierten die Parteiführer die Regierungspolitik von Premierminister Jacques Chirac aufs Schärfste, betonten die Unterschiede von Rechten und Linken und wagten sogar noch, von den Gegensätzen zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu sprechen. Deshalb allein konnte jedoch von einer innerparteilichen Diskussion in Lille noch keine Rede sein. Zwei Vorgaben des Parteivorstandes bestimmten den Parteitag. Erstens legte der Vorstand den Delegierten nur einen einzigen allgemein–politischen Leitantrag zur Abstimmung vor, und zweitens war man übereingekommen, die Diskussion über den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten auf das nächste Jahr zu verschieben, und dessen Wahl somit von der Entscheidung Mitterrands über eine erneute Kandidatur abhängig zu machen. Im Voraus hatte so der PS–Vorsitzende Lionel Jospin alle eventuellen tiefergreifenden inhaltlichen und personellen Konflikte in Lille ausklammern wollen. Jospin hatte die Sozialisten bereits 1982 auf einen neuen Kurs eingepfiffen, als er von der notwendigen Anpassung der Partei an die Institutionen der fünften Republik sprach. Heute formt Jospin für diese Anpassung eine Partei, die sich nach dem Vorbild der gaullistischen „Sammlungsbewegung“ einem einzigen Führer unterwirft. Noch heißt dieser Führer der Sozialisten Franois Mitterrand. Die Allgegenwart seiner Person verbot in Lille jede Kritik an der sozialistischen Regierungspraxis von fünf Jahren. Man würdigte die Verdienste des Präsidenten um den „Nationalen Konsens“ in verteidigungs– und außenpolitischen Fragen. Schließlich stimmten die Delegierten über den Leitantrag des Vorstandes ab, und das Wahlergebnis lag in der fatalen Nähe der 99 Prozent. Pierre Mauroy brachte dann noch einmal die große Frage aller Sozialisten, ob Mitterrand kandidieren werde oder nicht, auf den Tisch: „Die Entscheidung trägt er. Er und nur er allein. Er wird sie mit Seele und Bewußtsein treffen. Für uns wird seine Entscheidung indiskutabel sein. Sie wird eine Verpflichtung sein.“ Mauroys Rede ist nur konsequent. Entscheidungen fallen bei den Sozialisten eben nicht auf Parteitagen.

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